#Monatsnotiz: Nach dem Ende eines Monats schreibe ich auf, was mich in den vergangenen Wochen beschäftigt hat, was ich gelesen, gehört habe und weiterempfehlen möchte, woran ich arbeite, was ich be-merkenswert gefunden habe.
Der August ist enttäuschend, und wie
Hotel Rimini, Alles bleibt, wie es war, 2022
Immer viel schlimmer als voriges Jahr
Ich spüre ein Ziehen im Knie
Und ich schüttel‘ mir Schuppen vom Haar
Wenig Zeit und Muße ließ der August für Texte, Bücher und Podcasts – und noch weniger, so scheint es, jetzt im September, um darüber zu schreiben. Doch die Monatsnotizen sind mittlerweile ein zu schönes Ritual geworden, als dass ich darauf verzichten möchte. Außerdem möchte ich natürlich auch das Rad nicht anhalten, wo kämen wir da hin, ist doch immer wieder eine Freude, Teil der Fundstücke von Max Buddenbohm zu sein:
Wenn wir die Fundstücke und die Monatsnotiz haben, dann drehen wir das Rad einen Zahn weiter und checken nur noch kurz die Saisonalität beim Bäcker im real life: Blaubeertaler gibt es da gerade, aber sie sehen nicht sehr anziehend aus.
Maximilian Buddenbohm in Buddenbohm und Söhne, „Währenddessen in den Blogs vom 10.8.2022“
Film
Den schönsten Film über die Kraft von Ritualen hat der Fotograf und Künstler Blaise Hayward gedreht: ein kurzes, wunderbares Porträt eines Mannes, Walter Strohmeyer, 90 Jahre, der seit seiner Kindheit jeden Morgen schwimmen geht.
Buch
Ich habe in diesem Monat Bücher angefangen und wieder verworfen. Begeistert und eingefangen hat mich „Bittere Milch“ von Deborah Levy, die eine Geschichte über ein unheilvolle Mutter-Tochter-Beziehung geschrieben hat. Ich mochte es sehr, dass sie niemals eindeutig wird, sondern die Interpretationen in der Vielschichtigkeit ihrer starken sprachlichen Bilder offen lässt. Wenn man etwas Allgemeines über Mutter-Tochter Beziehungen sagen könnte, so ist es wohl genau das – vielschichtig und selten eindeutig. „Ihre Heldinnen sind nicht selten konfrontiert mit Fragen, von denen sie ahnen, dass Antworten größtes Unbehagen auslösen könnten“, schreibt Ulrich Rüdenauer in der Süddeutschen Zeitung.
Es mein erstes, sicher nicht das letzte Buch der britischen Autorin Deborah Levy. Aufmerksam bin ich auf sie geworden durch das schöne Gespräch zweier großer Anhängerinnen der Schriftstellerin: Kristine Bilkau hat sie in den Podcast „Fempire“ vorgestellt und nachdem man sie und ihre Gastgeberin Rasha Khayat gehört hat, möchte man Deborah Levy gleich lesen.
Podcasts
Europäische weiße Männer dominieren bis heute den Kanon von Schriften, die in der Philosophie gelesen werden. Sehr eindrücklich zeigt sich das, wenn man Intstagram-Accounts wie „the philosophy quote“ ansieht – Frauen und People of Colour sind hier die Ausnahme. In der Sendung „Sein und Streit“ vom Deutschlandfunk nennt der Philosoph Martin Lenz einige Gründe dafür, dass sich diese Beschränkung bis heute durchhalten, obwohl die Diskussionen unter Studierenden, die Studierenden selbst ja viel diverser seien. Es ist eine Frage der Zugänglichkeit und der Mittel und des Aufwands, die benötigt werden, um Schriften zu erschließen – ein Aufwand, den das wissenschaftliche System nicht unbedingt belohne. Die gute Nachricht: Ein Kanon bilde immer nur das ab, was in bestimmten Zeiten für wichtig gehalten werde – und genau das kann sich ändern.
Die Debatte um den Rückzug der Neuauflagen von Karl May im Ravensberger Verlauf, Stichwort „Winnetou“ habe ich eigentlich gar nicht verfolgen wollen. Nicht, weil ich sie unangemessen fand, ganz im Gegenteil. Ich hatte aber den Eindruck, schon vorab zu wissen, von welcher Seite welche Argumente kommen würden. Und das Gefühl, dass sich meine Position dazu nicht verändern würde, wenn ich mich mit der einen oder anderen Seite intensiver beschäftige. Irgendwann habe ich dann doch noch einen Podcast dazu gehört: Jule und Sascha Lobo fassen in „Feel the news“ zum einen die Debatte gut zusammen, zum anderen finden sie eine Lösung, die sogar Sigmar Gabriel versöhnen könnte. Und das ist doch was.
Weil Winnetou das Thema „kulturelle Aneignung“ noch einmal neu hochgebracht hat, fand ich die Debatte dann doch nicht mehr so uninteressant. Der Grat zwischen Aneignung und produktiver künstlerischer Synthese aus verschiedenen kulturellen Einflüssen ist ja sehr schmal – und bislang erscheint es mir eher eine Gefühlssache, wie wir darüber entscheiden. Beziehungsweise: Ich hatte keine Definition und hielt es eher dafür. Der Journalist und Autor Jens Balzer hat ein Buch darüber geschrieben und erklärt auch in einem Spiegel-Interview, wie schwer die Grenzen zu ziehen sind. Er fordert statt eines Verbots eine „Ethik der Appropriation“, so auch der Titel des Buches.
Für Jens Balzer muss bei der Aufregung um die Winnetou-Neuauflagen auf jeden Fall das Timing gestimmt haben, das Buch erschien gefühlt zeitgleich – als ich es mir jüngst in einer Buchhandlung kaufen wollte, war es auch tatsächlich nicht mehr lieferbar.
Auf der Suche nach einem Podcast, in dem Jens Balzer über sein Buch spricht, bin ich dann auf einen interessanten Podcast gestoßen, in dem er über ein älteres Buch spricht – doch das führt jetzt schon in den September, deshalb bleibt das hier ein Cliffhanger. Ich möchte allerdings verraten, dass ich über diesen Podcast in einer weiteren Episode – und auch deshalb bin ich Winnetou schon fast wieder etwas dankbar – einen noch ungeborenen Star gefunden habe: Gio.
Crowdfunding
Ein noch ungedrucktes Buch habe ich ebenfalls im August entdeckt, und habe ein großes Interesse daran, dass es erscheint: „Sorry, war noch kurz laufen“ ist ein Laufbuch für Läufer*innen, geschrieben aus der weiblichen Perspektive von Nicole Blatt. Erscheinen wird es im unabhängigen Hamburger Verlag Ankerwechsel, vorausgesetzt das Crowdfunding bei startnext verläuft erfolgreich. Sicherlich ist es nicht das erste Laufbauch, das eine Frau geschrieben hat. Aber ich habe bis jetzt noch von keinem gehört, dass diese Perspektive explizit macht. Und laut Ankündigung wird es ein „Buch für Menschen, die besonders gestaltete Bücher mögen und nicht nur auf reine Information aus sind“. Wunderbar.
Gedruckt werden soll klimaneutral und lokal, es fehlen noch ein paar Euro, und Unterstützer*innen können sich mit ihrem Beitrag gleich auch ein Buch sichern. Wer mehr zu dem Crowdfunding erfahren will, sollte das Interview lesen, das Dirk von Gehlen mit der Verlagsleiterin Harriet Dohmeyer geführt hat – und erfährt darin unter anderem, dass Frauen erst seit den 70er Jahren an Marathon-Läufen teilnehmen durften.
Im letzten Jahr habe ich sehr viel aus dem Buch „Erzählende Affen – Mythen, Lügen, Utopie Wie Erzählungen unser Leben bestimmen“ von Samira El Ouassil und Friedemann Karig mitgenommen. Neulich fiel mir das Buch eines Kognitionswissenschaftlers zu dem Thema in die Hände, Fritz Breithaupt: „Das narrative Gehirn“, das mich als Erweiterung gleich angesprochen hat. Noch bevor ich es mir anschaffen konnte, erschien ein Podcast, „Sternstunde Philosophie“ mit beiden Autor*innen im Gespräch mit Wolfram Eilenberger.
Musik
Der August brachte auch die Möglichkeit, mal wieder ein kleines, feines Konzert zu besuchen: Hotel Rimini trat im Knust auf, die Band hat sich zu Corona-Zeiten gegründet, mit dabei ist Paul Pötsch von „Trümmer“. Der spielte dann auch ein paar Solo-Trümmer Songs, das war genauso gelungen wie der gesamte Abend. Das schöne Lied „Fassaden“ hat mich in meiner Heimatstadt im August gleich mehrmals begleitet, es gibt leider kein Video zum Song. „Alles bleibt, wie es war“ ist schon auch sehr schön unzeitgemäß.
Und nicht nur, weil der Titel so gut passt: „August August“ mit einem Titel ihres Albums „Liebe in Zeiten des Neoliberalismus“