Klassische Medien und staatliche Stellen nutzen zur Steigerung ihrer Reichweite Social-Media-Plattformen und pimpen ihre eigenen Inhalte auf. Doch erweisen sie sich damit einen Gefallen?

Als ich am vergangenen Wochenende in der SZ einen Text (€) über die viel gelobte Rede Robert Habecks zum Krieg in Israel und zum Antisemitismus las, zeigte mir die App das standardisierte Feld mit dem Hinweis, dass die Redaktion den Artikel mit einem Inhalt von Twitter (!) „angereichert“ habe. Der Darstellung dieses Inhalts muss ich als Userin der App zustimmen. Twitter heißt ja seit der Übernahme des Dienstes durch Elon Musk nun schon länger X. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich über den Hinweis gestolpert bin. Das Wort „angereichert“ hat mich stutzen lassen – und auch dass der Inhalt „von Twitter“ sei. Die ganze Verweiskette, der ich als Leserin nun folge, ist symptomatisch für das Zusammenspiel etablierter Medien und staatlicher Institutionen mit den Plattformen. Ich finde es interessant, ihr einmal zu folgen und zu verstehen, warum die Verbindungen inzwischen so eng verwoben sind – bzw. wie es auch anders aussehen könnte.

Der angekündigte Inhalt ist ein Posting des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) und enthält die Rede Habecks, eingebunden als Video. Es ist auch auf der Website des Ministeriums zu finden, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Rede prominent auf der Startseite. Die SZ hätte also durchaus direkt verlinken können und den Hinweis auf Twitter/X hier gar nicht einbringen müssen. Das macht die Süddeutsche in anderen Artikeln auch, vermutlich immer dann, wenn sich Content nicht über die Plattformen einbetten und dann direkt abspielen lässt. Über das so genannte „Embedding“ im Artikel ist genau das möglich: Leser*innen können in der App direkt das Video sehen und müssten gar nicht das Medium wechseln – scheinbar also optimal. Über den Link hätte man riskiert, die User*innen der App an die Website des Ministeriums zu verlieren. Die Gefahr bleibt auch bei der Variante, für die die SZ sich entscheidet, allerdings in andere Richtung: Das Videofenster enthält den Vorschlag „auf X ansehen“ – eine Voreinstellung des Dienstes selbst, deshalb heißt es hier auch nicht mehr Twitter.

Doppelte Falle

Ich glaube, die Süddeutsche schadet sich selbst hier gleich doppelt. Zum einen schreibt sie Twitter/X Inhalte zu, die eigentlich aus anderen Quellen stammen und suggeriert, die Artikel würden durch den Dienst „angereichert“. Formal ist es richtig, dass User*innen ihre Nutzungsrechte am Videomaterial dem Dienst überlassen, wenn sie es dort teilen. Die Urheberrechte aber liegen beim Ministerium selbst, deshalb stimmt die Aussage „mit einem Inhalt von Twitter“ nicht wirklich. Beachtlich, dass die SZ einem um die Aufmerksamkeit der User*innen konkurrierenden Dienst diese Lorbeeren überlässt.

Darüber könnte der Hinweis „auf X ansehen“ die Leser*innen dann doch aus der App direkt auf die Plattform lenken. Und es ist bekannt, dass viele sich erst einmal im Strom weiterer Postings verlieren und dann auch dort bleiben. Die Versuchung halte ich für stärker als die, die von der Website des BMWK ausgehen könnte.

Alternativen zu X

Für mich war es zunächst auch fraglich, warum eigentlich das Ministerium das Video nicht selbst über den eigenen Online-Auftritt, sondern nur vermittelt über Twitter in Medien zum Einbetten anbietet. Die Antwort kam schnell in einer privaten Diskussion und liegt natürlich auf der Hand – die millionenfachen Zugriffe (zum Zeitpunkt der Entstehung des SZ-Artikels waren es bereits über zehn Millionen) hätten die Website sofort zum Erliegen gebracht. X hat sich als Streamingdienst etabliert und offensichtlich gibt es dazu noch keine richtigen Alternativen. YouTube wäre eine andere, Vimeo wäre eine weitere. Aus meiner Sicht wäre letztere eine eher akzeptable Lösung als X. Dass nun die Inhalte des Wirtschaftsministeriums bei einer Plattform geteilt werden, die Habeck selbst vor längerer aufmerksamkeitsstark verlassen hat, ist nachvollziehbar (wegen der Reichweite), dennoch zu hinterfragen (wegen der Verantwortung, solche Dienste mit eigenem Content zu stärken).

Gewohnheiten etablieren, Abhängigkeiten schaffen

Insgesamt zeigt das Beispiel sehr gut, wie es Plattformen wie YouTube, Instagram und X gelungen ist, Nutzer*innengewohnheiten zu etablieren, die nun auch die klassischen Medien bedienen möchten, um ihre Leser*innen zu halten. Dafür aber wiederum benötigen sie die Plattformen, weil aktuell nur die über die notwendige technische Infrastruktur zu verfügen scheinen, um ein Video wie das von Habeck zum millionenfachen Streaming zur Verfügung zu stellen.

Medien und staatliche Institutionen beobachten gerade, wie die privaten Plattformen zur zentralen Informationsquelle nicht nur junger Menschen werden. Und das ist angesichts der Entwicklungen, wie wir sie in bedenklichster Ausprägung gerade bei X beobachten können, ein Problem. Eine Moderation findet dort so gut wie nicht mehr statt, Hassreden und Verschwörungserzählungen haben freien Lauf. Es gäbe hier also eine große Interessengemeinschaft, um dem den Abhängigkeiten eigene Infrastrukturen entgegenzusetzen.

Als Alternative zu Twitter nutzen einige, immer noch wenige, inzwischen Mastodon, das auf dem dezentralen Netzwerk Fediverse basiert. Mastodon ist darin nur eine Anwendung. „PeerTube“ als Alternative zu YouTube ist eine weitere. Mir fehlen leider die technischen Detailinformationen – aber es würde mich interessieren, ob eine App wie die SZ ihre Artikel nicht auch über Videos „anreichern“ könnte, die hier eingestellt werden. Aktuell funktioniert das schon deshalb nicht, weil Contentersteller wie das Wirtschaftsministerium ihre Inhalte dort nicht hochladen. Und weil die App der Zeitung offensichtlich nicht so programmiert ist. Das wäre sicherlich ein größerer Aufwand, als es von außen scheint, wenn es offensichtlich schon kompliziert zu sein scheint, im Hinweisfenster Twitter durch X auszutauschen (ich gehe davon aus, dass die Inaktualität schon anderen aufgefallen ist). Wünschenswert wäre es aber, hier zukünftig zumindest eine Alternative anzubieten. Dann könnten stattliche Einrichtungen wie das Wirtschaftsministerium sich fragen lassen, warum sie diese nicht nutzen, um ihre Videos zum Teilen anzubieten.

Und sollte es aktuell nicht möglich sein, so bleibt die Frage, was gesehen sollte, um dezentrale, freie Alternativen zu fördern, statt die privaten, zentralisierten weiter zu stärken.

Ergänzung: Über Bluesky hat die Medienrechtlerin Andrea Schlotfeldt ergänzt, dass auch datenschutzrechtliche Hintergründe hier hineinspielen. Beim direkten Einbetten von Inhalten einer Website würden die von der SZ in der Datenschutzerklärung aufgeführt – so wie jetzt „Twitter“. Das erklärt, warum Contentproduzenten wie das Ministerium ihre Inhalte besser über einen zentralen Dienst teilen sollten, weil sonst eine unendlich lange Liste entstände. Offen bleibt die Frage, ob das auch zukünftig X sein soll.