#Monatsnotiz: Nach dem Ende eines Monats schreibe ich auf, was mich in den vergangenen Wochen beschäftigt hat, was ich gelesen, gehört habe und weiterempfehlen möchte, woran ich arbeite, was ich be-merkenswert gefunden habe.
Ich habe den 16. Januar einigermaßen gut überstanden – ab jetzt kann es also nur noch bergauf gehen. Denn der dritte Montag im Januar gilt als „Blue Monday“ – angeblich der traurigste Tag im Jahr, wie ein Wissenschaftler herausgefunden haben soll. Allerdings eher aus Marketinggründen – die entsprechende Pressemitteilung kam vor einigen Jahren aus der Reisebranche, wie man lesen kann. Ich weiß gar nicht, was ich beunruhigender finde: Dass ein Wissenschaftler sich für so einen Unsinn hergibt oder dass Medien ihn (bei dpa mit doppeltem „angeblich“ eingeschränkt, was es fast schlimmer macht) abdrucken.
Eine gewisse allgemeine Müdigkeit ist allerdings zu Anfang des Jahres auch mir begegnet – kein Wunder, bei so wenig Licht. Dagegen gewirkt hat bei mir unter anderem das Eisbaden – hier habe ich aufgeschrieben, warum mir die Eisbademeisters gute Laune bereiten. Daneben haben ich gleich zwei Serien geschaut, was bei mir fast schon das Jahrespensum abdeckt. Und ich weiß nun auch wieder mindestens einen Grund, der mich davon abhält, das regelmäßig zu machen: Die Personen verfolgen mich, auch wenn ich die Serie vorbei ist. Ich ertappe mich dabei, mir über ihr weiteres Schicksal Gedanken zu machen. Auf eine Art, die ich eher als aufdringlich empfinde, fühle ich mich ihnen verbunden.
Fakt oder Fiktion? Geschichte als Unterhaltung
Eine der beiden Serien war der ARD-Mehrteiler „Bonn – alte Freunde neue Feinde“ über die Entstehung der damals konkurrierenden Geheimdienste Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz zu Mitte der 50er Jahre. An der Spitze der beiden Institutionen tauchen in der Serie zwei Rivalen mit realen Vorbildern auf: Reinhard Gehlen, unter den Nazis als Generalmajor aktiv und nach dem Krieg im Auftrag der CIA für den Aufbau eines Geheimdienstes verantwortlich, und Otto John, ehemaliger Widerstandskämpfer und nach dem Krieg an der Spitze des Verfassungsschutzes verantwortlich für die Erfassung ehemaliger Kriegsverbrecher, wie zum Beispiel Alois Brunner. Dessen Verfolgung auf seiner Flucht ins Ausland spielt in der Serie eine zentrale Rolle. Weitere Personen rund um die historischen Figuren sind frei erfunden. Damit ist schon ein Grundproblem genannt, das ich mit dieser Art der Verarbeitung historischer Stoffe habe: Fakten werden mit Fiktion gemischt, die realen Menschen in eine Story gepackt, die vor allem sechs Folgen lang die Spannung aufrechterhalten muss. Ist das zulässig? Wäre es nicht seriöser, den Figuren andere Namen zu geben und darauf zu verweisen, dass sie nach dem Vorbild der real existierenden entstanden sind? Mich hat die Frage nach Fakt und Fiktion die gesamte Serie über begleitet – und irritiert. Der positive Effekt davon war, dass ich über die Geschichte des BND und des Verfassungsschutzes mehr erfahren wollte, um mir selbst ein Bild zu machen. Man entdeckt sehr schnell die Bezüge bis in die Gegenwart: So hat noch 2018 Georg Maaßen, damals noch Chef des Verfassungsschutzes, heute kurz vor dem Ausschluss aus der CDU, mit allen Mitteln verhindern wollen, dass ein Journalist Akteneinsicht in den Fall des inzwischen verstorbenen Alois Brunner erhielt. Das dokumentiert eine Kleine Anfrage der Fraktion die Linke. Es lohnt sich sicher, sich mit der Geschichte dieser Institutionen zu beschäftigen, die in der Vergangenheit durch nachweisliche weitere Kontinuitäten aus der NS-Zeit immer wieder unangenehm aufgefallen sind. Der BND musste aktuell schon ein zweites Mal wegen verfassungswidriger Überwachung verklagt werden.
Newsreader
Die zweite Serie, die ich im Januar angefangen und inzwischen zu Ende gesehen habe, spielt in den 80er Jahren bei einem Newssender in Melbourne: Die „Newsreader“, zu sehen in der ARTE-Mediathek – ich habe sie sehr gemocht. Das Geschehen erscheint noch sehr nah an der Gegenwart und doch fühlt man sich in der Eingangsszene in eine andere, weit vergangene Zeit zurückversetzt: Ein cholerischer Chefredakteur entlässt mit heftig sexistischen Beleidigungen seine Nachrichtensprecherin. Die gesamte Redaktion hört zu, gelähmt – aber lässt es geschehen. Fünf Jahre nach #MeToo ist das heute eigentlich nicht mehr vorstellbar, und es wird noch einmal eindrücklich deutlich, wie wichtig die Diskussionen darüber waren und sind. Man ahnt, dass die Darstellung hier nicht zu überzogen ist und Frauen genau solchen Gesprächen ausgeliefert waren und hoffentlich nicht mehr sind.
Der Umgang mit Homosexualität ist in den 80er Jahren durch das Thema AIDS geprägt und es erscheint aus heutiger Sicht unvorstellbar, welcher Feindseligkeit und Gefühlskälte erkrankte schwule Menschen ausgesetzt waren – in der Serie wird ein infizierter Mann vor laufender Kamera der Promiskuität beschuldigt und damit als verantwortlich für seine Krankheit und die Gefährdung seines Partners. Auch das erscheint nur zu realistisch: Noch vor vierzig Jahren diskutierte man laut Bericht des Robert-Koch-Instituts darüber, „Schwulenclubs zu schließen, Erkrankte in Heimen zu internieren und alle ‚Ansteckungsverdächtigen‘ zu testen – notfalls auch mit Gewalt.“
Trailer zu „Newsreader“
Podcasts
Wie Geschichte in den sozialen Medien erzählt wird, dazu gibt es ein interessantes Gespräch im Podcast Forschungsquartett auf der Grundlage eines Interviews mit dem Wissenschaftler Christian Bunnenberg von der Ruhr-Universität-Bochum. Der lässt neben der Chance, Menschen zu erreichen, die sich bislang nicht interessiert haben, auch die kritischen Aspekte nicht aus: Wo wird Geschichte verfälscht? Was ist problematisch am Instagram-Projekt Sophie Scholl? Darüber hinaus geht es auch darum, wie wir heute selbst Geschichte schreiben, wenn wir soziale Medien nutzen – hier sieht Bunnenberg ein Potenzial:
Es wäre schön, so im Sinne des Empowerments, wenn alle Menschen Geschichte schreiben können. Das ist ja auch eine Demokratisierung von Geschichte.
Prof. Dr. Christian Bunnenberg, Historiker und Geschichtsdidaktiker
„Läuft“ – hat nichts mit Joggen zu tun, sondern ist ein neuer Podcast von epd-Medien und Grimme-Institut. Host ist der Journalist und Podcaster Alexander Matzkeit (der als Teil eines Quartetts auch den Kulturindustrie-Podcast herausbringt). Er stellt hier vierzehntägig ausgewählte Sendungen aus Fernsehen, Radio und Netz vor und spricht darüber mit Kritiker*innen, dazu gibt’s Themen aus der Medienbranche, vom Grimme Online Award bis zum neuen „Zukunftsrat“ von ARD und ZDF. Ich habe darüber die Serie Bonn (s.o.) entdeckt und werde nach der aktuellen Folge in den Podcast „Mia Insomnia“ zumindest mal reinhören. Die Idee, einen Podcast als Programmschau zu machen, finde ich sehr gut – von mir aus könnten es gerne deutlich mehr als nur eine Besprechung sein.
Der SRF-Podcast „Zwei mit Buch“ hat mich bislang durch das Schweizerdeutsch einer der beiden Hosts, Franziska Hirsbrunner, etwas abgeschreckt. Das Buch der aktuellen Folge fand ich dann so interessant, dass ich mich überwunden habe, ihn gehört und das Meiste auch verstanden habe. Es geht um „Gesund genug“ von Ursula Fricker. Die Autorin erzählt darin die Geschichte eines Mannes, der mit seinem Wahn, sich gesund ernähren zu wollen, seine gesamte Familie tyrannisiert und dann an Darmkrebs stirbt.
Wenn gesund bleiben eine Leistung ist, dann hat er auf ganzer Linie versagt. In seinen eigenen Augen musste er versagt haben. Selber schuld, hatte er immer gesagt, wenn jemand krank wurde, selber schuld, geschieht dir recht.
Ursula Fricker, „Gesund genug“
Selbstoptimierung, die fanatische Züge annimmt, zum Machtmissbrauch ausartet – rekonstruiert aus Sicht der Tochter. Interessant finde ich daran genau die Grenze: Wann schlägt eine grundsätzlich gute Idee in Fanatismus um? Wo verlieren sich die Menschen im Wunsch, sich oder die Gesellschaft zu verbessern?
Im Podcast zu hören ist auch die Ernährungssoziologin Christine Brombach, die mit Franziska Hirsbrunner zuvor über „Essen als Ersatzreligion, Lebenssinn, Leitschnur und Weltveränderungsmission“ gesprochen hat.
Das „Ich als Marke“ in der Kritik
Sich selbst als Person als Marke zu entwerfen („Marke ich“) hat in bestimmten Kreisen eine gewisse Selbstverständlichkeit gewonnen. Ich konnte damit immer nur bedingt etwas anfangen. Auf der einen Seite ist es klar, dass Solo-Selbständige oder Unternehmer*innen, die als Persönlichkeit eine starke Rolle spielen, ihren Auftritt strategisch planen. Dennoch bezweifele ich, dass das Konzept „Marke“ dafür der richtige Ansatz ist. Marke gewinnt durch Konsequenz, Stringenz und stetige Wiederholung – eine Persönlichkeit wird dagegen interessant, wenn sie sich immer wieder verändert, unberechenbar ist, überraschen kann.
Die Autorin, Künstlerin und Designerin Debbie Millman hat in einem Text die Entwicklung des Konzepts der „Marke Ich“ seit den 70er Jahren nachgezeichnet, um es dann sehr klug und überzeugend zu dekonstruieren:
But rather than manufacturing a personal brand, why not build a reputation? Why not develop our character? Imagine what we could learn from each other if we felt worthy as we are instead of who we project ourselves to be.
Debbie Millmann
Ich weiß gar nicht, wie ich auf den Text von Debbie Millmann gekommen bin. Er wurde auf der Plattform „We present“ veröffentlicht, eine Art Magazin des Clouddienstes „WeTransfer“:
These days, we are a digital arts platform which tells weird, wonderful and unexpected stories about creativity, to celebrate the extraordinary impact it has on the world around us.
We Present, About Us
Ein erstes Herumstöbern erscheint mir sehr vielversprechend, ich habe dort unter anderem (um genau zu sein im Februar) unter anderem das schöne „Manifesto by the raincoats“ entdeckt, „rules for life, creativity, and activism“ der Post-Punk-Band Raincoats – Teil der Serie von Manifesten bei WePresent.
Kurzfilm
Die Künstler*innen Verena Brakonier (Tänzerin), Greta Granderath (Theatermacherin) und Jivan Frenster (Bildender Künstler) sind Anfang vergangenen Jahres in Hamburg auf die Straße gegangen und haben die Hände ganz unterschiedlicher Menschen gefilmt und sie dabei befragt. Entstanden ist der Kurzfilm „HÄNDE„, der hinterfragt, ob Klassenherkunft und -zugehörigkeit an den Händen abzulesen ist, ob sie von Armut oder Reichtum, Arbeits- und Lebensweise, Zugang zu Geld und Kultur erzählen. Der Film ist in einem größeren künstlerischen Rechercheprojekt zum Thema Klassismus entstanden, Class matters (immer noch).
Weitere Monatsnotizen
Ich freue mich sehr, dass sich Franziska Bluhm sich vom Format der Monatsnotiz hat inspirieren lassen und nun in einer Art Testphase damit begonnen hat, selbst welche zu schreiben. Ich hatte die Idee ja mal von Christian Friedrich in leicht abgewandelter Form übernommen – und verweise hier noch mal auf seine Monatsnotizen, vor allem, aber nicht nur, wenn man sich für Podcastproduktion und -rezeption interessiert.
Musik
„Gisbert zu Knyphausen hat sich mit dem Pianisten Kai Schumacher zusammengetan, um Schubert-Lieder wie Popsongs mit Band zu arrangieren“. Das Ergebnis kann man in einem Konzert des Bayerischen Rundfunks anhören – oder in diesem Video. Der Januar war ein guter Monat, um Gisbert zu Knyphausen (wieder) zu entdecken.
Das Schubert-Lied ist schon etwas für die bedachteren Momente und passt nicht wirklich zum Joggen. Bei einigen guten Läufen im Januar hat mich ein Stück aus den früheren Jahren des Liedermachers begleitet: