#Monatsnotiz:  Nach dem Ende eines Monats schreibe ich auf, was mich in den vergangenen Wochen beschäftigt hat, was ich gelesen, gehört habe und weiterempfehlen möchte, woran ich arbeite, was ich be-merkenswert gefunden habe.

Seit Februar bin ich „Freundin der Kunsthalle Hamburg“ und habe mit meiner Familie über einen festen Jahresbeitrag jederzeit freien Eintritt in die Ausstellungen. Einfach mal kurz vorbeigehen und ein Bild angucken, das ist die Idee, die mich gereizt hat. Auslöser war das Buch von Kolja Reichert: „Kann ich das auch? 50 Fragen an die Kunst.“ Das hatte ich im letzten Jahr über eine Rezension bei 54 books entdeckt:

Kann ich das auch? ist eine Hymne an Schönheit, an die Macht und Notwendigkeit von Kunst – und das als unterhaltsamer Ratgeber und Crashkurs für Menschen, die wissen wollen, was es mit Kunst tatsächlich Besonderes auf sich hat. 

Christine Dongowski, 54 Books, 12.12.2022

Schon während ich das Buch las, hatte ich sofort Lust, in eine Kunstausstellung zu gehen. Der bin ich gleich gefolgt, habe mir noch am letzten Tag die Ausstellung „Breathing“ in der Hamburger Kunsthalle angesehen und war sehr froh darüber. Lesen wirkt.

So hat das Buch eine seiner Missionen zumindest bei mir erfüllt. Es antwortet auf Fragen, die vielleicht eher Menschen stellen mögen, die mit dem Kunstbetrieb nicht zu eng vertraut sind. Die Antworten und die vielen Geschichten und Anekdoten, die das Buch so unterhaltsam machen, könnten auch Kunstkenner*innen mögen. Zudem Kolja Reichert auch zu Themen deutlich und differenziert Position bezieht, die in der Kunstszene, und nicht nur dort, intensiv diskutiert werden: Unter der Frage „Gibt es „böse“ Bilder nimmt er zum Beispiel Stellung zu dem Vorwurf, das Bild „Thérèse, träumend“ des Künstlers „Balthus“ sei als pädophile Darstellung inakzeptabel. Er bezieht sich hier auf eine Diskussion, die verschiedene Werke vor allem früherer Epochen aktuell aufwerfen. Kolja Reicherts Antwort zeigt, dass es auf diese Fragen keine Generalantwort gibt, dass sie von Werk zu Werk, am Original und nicht aus der Ferne beantwortet werden müssen und dabei immanente und externe Faktoren einzubeziehen sind.

Mich hat vor allem überzeugt, wie Kolja Richter auf die in den vielen Fragen enthaltene Grundsatzfrage nach dem Wesen der Kunst, nach ihrem „Why“ von verschiedenen Richtungen aus immer wieder gute Antworten gibt. Gut, weil sie zum Weiterdenken anregen und sicherlich auch zum Widerspruch einladen:

Gelungene Kunstwerke schaffen eine Perspektive, einen Abstand, aus dem heraus man auf die Gegenwart und das eigene Leben blicken kann. Um das umso mehr, je weniger eindeutig ist, worum es in ihnen geht. 

S. 39

Kunst zu lernen bedeutet also, die Nicht-Kunst zu verlernen: all das, was schon formuliert ist und sich automatisch aufdrängt. Und dieses Verlernen kann man lernen. Vor allem, in dem man gemeinsam Kunst anschaut und diskutiert. Man lernt, genau hinzusehen. Man lernt, alle Entscheidungen zu verstehen, die in den Werken eingeschlossen sind. 

S. 108

Viele denken, Kunst sei abstrakt. Das Gegenteil ist der Fall: Nichts schafft eine solche Konkretion wie Kunstwerke. Mit Kunst fängt alles an, und ohne Kunst löst sich alles auf. Es muss sich nicht jeder mit Kunst beschäftigen, aber alle hören und sehen ihre Echos in dem, was Architekten, Designer, Journalisten machen. Ohne sie verlieren wir jede gemeinsame Sprache.

Alle Zitate aus: Kolja Reichert, Kann ich das auch?

In einem Interview im Monopol-Magazin erklärt Kolja Reichert, warum und für wen er das Buch geschrieben hat – ein lesenswertes Gespräch.

Podcasts

Man ist nie fertig mit einer Transformation. Ein Unternehmen muss ständig in der Lage sein, sich an die veränderten äußeren Bedingungen anzupassen.

Das sagt die COO von Edding Fränzi Kühne, die einstmals die Agentur „Torben, Lucy und die gelbe Gefahr“ mitgegründet hat, im „Gespräche-von-morgen-Podcast“ mit Jonathan Sierck. Warum TLLG heute anders (nämlich ohne „gelbe Gefahr“) und dennoch weiterhin TLLG gleich heißt, ist in diesem Video zu erfahren. Mit der heutigen Vorständin von Edding verbindet mich neben einem ungewöhnlichen Agenturnamen auch die Überzeugung, dass Führung im Tandem optimal ist – wenn sich die richtigen gefunden haben. Fränzi Kühne berichtet darüber sehr ausführlich im Podcast – wie das bei Marcus und mir aussieht, haben wir in unserem Agenturpodcast zum zwanzigjährigen Bestehen von „Mann beißt Hund“ erzählt.

Fit durchs Studium

“An expert is a person who has made all the mistakes”: Wenn das, was ein gewisser Niels Bohr (dänischer Physiker) mal gesagt hat, stimmt, bin ich auf meinem Weg als Podcast-Expertin einen Schritt weiter gekommen. Bei einer Aufnahme für „Hamburg hOERt ein HOOU“ war ich so konzentriert darauf, dass bei den Mikros der Gäst*innen alles stimmt, dass ich mein eigenes nicht hinreichend gecheckt hatte. Leider war es nicht richtig angeschlossen. Ich konnte die Aufnahme noch retten, indem ich alles, was ich selbst gesagt habe, neu eingesprochen habe – es war im Hintergrund auf den anderen Spuren noch hören. Dieser Fehler wird mir hoffentlich nicht noch einmal geschehen…

Das Gespräch fand ich so rund, dass ich es ungern ein zweites Mal aufgenommen hätte. Die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen Sabine Bart und Lennart Haß berichten darüber, warum Gesundheitskompetenz im Studium und im Arbeitsleben eine zunehmend wichtige Rolle spielt – und wie man sie erwerben kann. Unter anderem nämlich mit einem Lernangebot bei der Hamburg Open Online University, das in ein gesundes Leben im Studium und im Job einführt: von Stärkung der eigenen Resilienz über den gesunden Schlaf bis hin zur gelungenen Kommunikation.

Immer wieder eine Empfehlung wert: Die Gespräche der Journalistin und Publizistin Jagoda Marinic mit prominenten Menschen über Freiheit. Die Episode mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann habe ich sehr gerne gehört: Weil die Politikerin eine bemerkenswerte Frau ist. Weil zwischen den beiden eine tolle Gesprächsatmosphäre entstanden ist, zu der vermutlich auch beigetragen hat, dass Jagoda Marinic das „Du“ vorschlägt. Und nicht zuletzt, weil es auch noch einmal um ihre Büttenrede geht, die zu Karneval für Furore gesorgt hatte. Ich wünsche mir mehr Politikerinnen mit so viel Standing, einem so trockenen Humor und so viel Reflektiertheit.

Die „Sternstunde Philosophie“ taucht in meinen Monatsnotizen immer wieder auf. Die Sendung zeigt, dass Philosophie im Fernsehen (wobei ich sie nur als Podcast höre) funktioniert. Wenn man bei den Moderator*innen die richtige Wahl trifft.

Diesmal eine Doppelempfehlung: Ich fand zum einen sehr aufschlussreich, was das Soziologen-Ehepaar Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey aus ihrem neuen Buch zu berichten haben, und wie sich das an eine vorangehende Folge anschließt. Die beiden hatten die Proteste der Querdenkenden empirisch untersucht, um sie dann zu analysieren – ein gutes Vorhaben, da wir vermutlich alle nur ein ungefähres Bild von den Menschen haben, die da auf die Straße gegangen sind. Und wenig darüber wissen, was sie antreibt.

Dass sich unter den Aufgebrachten ein Sammelsurium aus Linken, Rechten, aus Esoteriker*innen und insgesamt aus einem erstaunlich hohen Anteil an Akademiker*innen gefunden hatte, ist inzwischen wohl schon bekannt. Neu und überzeugend fand ich die Analyse, dass viele der Beteiligten an den Demonstrationen eine Haltung teilen, die ihr „Ich kann nicht mehr so, wie ich will“ zum obersten Gebot erhebt und dass dieses Gebot autoritäre Züge angenommen habe: „Das eigene Ich wird zum neuen Ich, zum neuen Führer“, sagt Carolin Amlinger. Dass unter diesem Nenner sehr unterschiedliche politische Strömungen zusammenkommen, ist nachvollziehbar.

Carolin Amlinger trifft sich in der Beschreibung des autoritären Ichs mit der Gästin, die im Januar in der „Sternstunde Philosophie“ zu Gast war: Die österreichische Philosophin Isolde Charim entwickelt den Begriff des Narzissmus darin als charakterisierend für unsere heutige Gesellschaft. Alle hätten sich längst einem Ich-Ideal unterworfen, dem sie hinterherjagten – immer auf der Suche nach Bewunderung, Einzigartigkeit und Erlösung vom ständigen Konkurrenzdruck. Da die Versprechen jedoch nicht einlösbar seien, alleine weil wir nicht alle einzigartig werden könnten, führe der Narzissmus unsere Gesellschaft in eine große Kränkung. Die haben auch Nachtwey und Amlinger beobachtet – als Grundzug des autoritätsgebundenen Charakters. Der entwickelt eine Wut, wenn immer er auf Verhaltensweisen stößt, die seinen Vorstellungen widersprechen. Ich war mir bei Isolde Charim nicht immer ganz sicher, wie weit ich ihr folgen möchte, was das Gespräch noch anregender gemacht hat.

Pflegebegutachtung

Seit Mai letzten Jahres beschäftigt mich und meine beiden Geschwister ein Thema, zu dem ich den richtigen Text noch nicht gefunden habe. Aber einen Tweet, der mich angesprochen hat, auch wenn ich es so pauschal nicht formuliert hätte:

Wir haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, da meine Eltern jeweils von anderen Mitarbeiter*innen begutachtet worden sind und in jeweils anderen Kassen versichert sind.

Diese Begutachtung des Medizinischen Dienstes zur Ermittlung der Pflegestufe – und damit des Pflegegeldes – ist eine rein subjektive Angelegenheit. Denn das Ergebnis der Begutachtung ist am Ende von einer einzigen Person abhängig – und da kann man Glück, aber eben auch Pech haben. Schlimm ist aber, dass man dem Urteil erst einmal ausgeliefert ist, so absurd es auch sein mag. Und dass man dann sehr lange warten muss, wenn man sich dagegen wehrt. Wir sind inzwischen vor dem Sozialgericht. Ich frage mich, was mit den Menschen ist, die weniger Möglichkeiten haben, das alles anzustoßen und so lange die Kosten der Pflege alleine zu tragen. Wir sind zu dritt als Geschwister und ich bin sehr dankbar, das nicht alleine bewältigen zu müssen. Wie ich von allen Seiten höre, ist unser Fall leider kein Einzelfall.

Für alle, die vor einer Begutachtung stehen, mein Ratschlag: Den Termin sollte man wie eine Verteidigung vorbereiten, alle möglichen Gutachten schriftlich vorlegen, denn man ist offenbar grundsätzlich verdächtig, sich unrechtmäßig bereichern zu wollen. Man sollte sich am besten schon einmal damit befassen, wenn es noch gar nicht aktuell ist. Wenn es akut wird, fehlt meistens die Zeit. Die Verbraucherzentrale gibt Tipps, was zu beachten ist.

Musik

The National, viel gehört in diesem Februar, Neues und Altes – immer besonders, intensiv und melancholisch.