Seit etwa einem Jahr sammele ich Podcasts über Bücher in meinen Playlists. Um mir einen Überblick zu verschaffen habe ich anfangs in jeden hineingehört, der mir begegnet ist – ein Projekt, das ich aufgegeben habe, weil es inzwischen zu viele Literatur-Podcasts gibt. Ich höre die Podcasts auch deshalb, weil ich selbst viel zu selten Bücher lese. Vielleser*innen mögen darüber mitleidig lächeln. Als könnte das ein Ersatz sein. Und das ist es natürlich auch nicht.

Menschen zuzuhören, die in Podcasts über Bücher sprechen, das ist ein wenig, wie im Restaurant dem Gespräch am Nebentisch zu lauschen. Der Psychoanalytiker und Autor Pierre Bayard hat einen guten Begriff dafür gefunden, was passiert, wenn man sich über Bücher unterhält: Es wächst der „Reichtum der virtuellen Bibliothek“. Bayard erklärt das in seinem Buch „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“. Das habe ich noch nicht gelesen, sondern im Deutschlandfunk davon gehört.

Podcast hören für die virtuelle Bibliothek

Meine persönliche virtuelle Bibliothek setzt sich zusammen aus fragmentarischen Informationen über Bücher und Autor*innen, Lektüreeindrücken anderer, vorgelesenen Auszügen, Aussagen von Autor*innen, Einordnungen und Interpretationen. All das sammele ich, wenn ich Podcasts über Bücher und das Lesen höre.

Oft wächst der Wunsch, die Titel aus meiner virtuellen Bibliothek wirklich zu lesen, und hin und wieder kommt es auch dazu. Umgekehrt liebe ich es, über Bücher aus meiner realen Bibliothek etwas in einem Podcast zu hören. Die eigene Lektüre erweitert sich dann um weitere, andere Leseerfahrungen.

Was macht nun einen guten Literatur-Podcast aus? Da ließen sich objektive Kriterien anlegen, wie Konzept, Qualität der Aufnahme, fachliche Kompetenz. Alles spielt natürlich eine Rolle, aber am wichtigsten bleibt: Wer spricht? Sind mir die Menschen nah, die sich da über Bücher unterhalten, in der Art, wie sie das machen? Kann ich ihren Assoziationen und Bewertungen folgen, mag ich ihre Stimme? Bei der Auswahl für meiner Top 5 haben diese Aspekte eine zentrale, wenn auch nicht die alleinige Rolle gespielt.

Dear Reader – der Literatenfunk (von piqd und detector fm)

Von diesem Podcast möchte ich keine Folge mehr verpassen. Das Konzept hat mich sofort überzeugt: Statt Autor*innen nach ihren neuesten Büchern zu befragen und darauf die oft wiederkehrenden Antworten zu erhalten, bittet Mascha Jacobs ihre Gäste, ihre drei Lieblingsbücher mitzubringen. Die ausgewählten Werke spielen eine unterschiedlich große Rolle im Gespräch, je nachdem, wie es sich entwickelt. Und Mascha Jacobs fragt noch mehr: Wie die Autor*innen ihre Bücher im Regal sortieren. Was und ob sie lesen, wenn sie schreiben, wie sie das Gelesene produktiv verarbeiten, wie es sie selbst verändert. Ob sie bestimmte Bücher für bestimmte Lebenssituationen an ihrer Seite haben und welche Rolle Bücher in ihrem Leben gespielt haben. Daraus ergeben sich schöne, zum Weiterdenken anregende, zeitlose Gespräche über das Lesen und das Schreiben, über Autobiographisches und Philosophisches.

Mascha Jacobs ist Journalistin, Autorin und Mitherausgeberin der Zeitschrift „Pop. Kultur und Kritik“ – und liest offensichtlich nicht nur viel, sondern auch sehr ausgewählt, was wesentlich zur Qualität der Gespräche beiträgt. Als Host des Podcasts lädt sie ihre Gäste zu sich nach Hause, in ihr Schlaf- und vermutlich Lesezimmer ein. Vielleicht schafft das die entspannte, oft persönliche Atmosphäre, die die Aufnahmen ausstrahlen – nicht alle im gleichen Maße, so, wie die Gäste ja auch sehr unterschiedlich sind.

Einen so selbstverliebt wirkenden, skeptischen und manchmal auch schwierigen Gesprächspartner wie Tom Kummer (so habe ich ihn zumindest im Gespräch „Elementarfragen“ mit Niklas Semak erlebt) bringt dieses Setting in einen angenehmen Erzählmodus, den Mascha Jabobs souverän lenkt – wie es mir scheint, mit leichter Distanz, für die ich ihr dankbar war. In der Episode mit dem Philosophen Samo Tomšič taucht sie dagegen selbst komplett ein, man hat man das Gefühl, die beiden, die sich offenbar ganz gut kennen, vergessen zwischenzeitlich, dass ihnen in ihrem Austausch über Freud, Deleuze und Marx noch andere zuhören. Das macht das Gespräch sehr wertvoll und fordert den Hörer*innen einiges ab – man kann das gut mehrmals hören.

Und wenn bislang hier nur von männlichen Gästen die Rede war, so nur, weil sie für mich zwei Extreme markieren. Ich habe vor allem auch die Episoden mit Johanna Adorján über Bücher auf ihrem Instagram-Kanal @johannaadorjan sowie mit Anna Gien und Marlene Stark über das Schreiben sehr gerne gehört.

Es lohnt sich, Dear Reader auch bei Instagram unter @dearreader_literatenfunk zu folgen, dort gibt es Bücher auch zu sehen.

Mein Freund der Baum

Dieser Podcast erlaubt sich, was viele Podcast-Expert*innen als no-go bezeichnen: Er erscheint unregelmäßig, relativ selten, ist länger als ein Inlandflug (wird tatsächlich hin und wieder als Zeitlimit für einen Podcast genannt – was für ein Unfug). Um keine Folge zu verpassen, hätte ich bei diesem Podcast erst einmal einiges nachzuholen: Es gibt schon 49, „Mein Freund der Baum“ startete bereits vor über sechs Jahren. Die Episoden stehen meistens unter einem Motto, zu dem die vier Titel, um die es in jeder Folge geht, passen: „Liebe“, „Erklären“, „Menschheit“ etc. Über die Bücher unterhält sich Andreas Baum, Journalist und Autor, meistens mit Andrea Frey, ebenfalls Autorin.

Im Hinblick auf meine virtuelle Bibliothek der von mir ungelesenen Bücher hat es für mich einen besonderen Charme, dass die beiden sich jedes Mal auch über ein Buch unterhalten, welches sie beide nicht kennen. Einen weiteren Titel haben sie beide gelesen, und jeder bringt darüber hinaus noch eine eigene Lektüre mit. Auf der Liste der beiden stehen aktuelle Bücher, von denen schon zu hören war, neben anderen, die man über diesen Podcast (wieder-)entdecken kann.

Was ich an dem Podcast sehr mag, ist die Art, wie Bücher hier immer wieder Impulse geben, um sich zu den darin verhandelten Themen auszutauschen und dabei dann auch mal richtig weit abschweifen. „Mein Freund der Baum“ ist so ungefähr das Gegenteil von „Long Story Short“, ein neuerer Podcast, in dem Karla Paul und Günther Keil ihre Lieblingstitel in jeweils gerade mal 60 Sekunden präsentieren und vier Bücher in weniger als einer halben Stunde pitchen. Das Konzept hier ist wie bei „Dear Reader“ das gepflegte Gespräch – und dafür nimmt man sich auch Zeit. Diesen Podcast zu hören, das ist wie Wellness für die Seele, weil er so angenehm unaufgeregt daherkommt.

blauschwarzberlin: Letzte Lektüren

Dieser Podcast hat es in meine Top 5 geschafft, weil Maria-Christina Piwowarski und Ludwig Lohmann von der Buchhandlung ocelot so wunderbar leidenschaftlich über Bücher erzählen können. Der Podcast hinterlässt seine Hörer*innen ähnlich beschwingt, wie sich die beiden nach ihren ein, zwei Gläsern Wein und Bier fühlen mögen, die sie im Laufe des Gespräches zu sich nehmen.

„Wir können die Welt erhellen, wenn wir mit Leidenschaft über Gelesenes reden. Ja, eigentlich ergeht es mir mit Literatur so, wie Magnesium mit Sauerstoff, kaum reagiere ich mit ihr, beginne ich zu leuchten.“

So schön erklärt Ludwig Lohmann sein Verhältnis zu Büchern und warum er so gerne über sie spricht. Was er da beschreibt, trifft meinem Eindruck nach mindestens genauso auf Maria-Christina Piwowarski zu. Auch wenn die Leidenschaft für Bücher die beiden verbindet, so präsentieren sie ihre Lektüren doch sehr individuell und ergänzen sich im Gespräch darüber gut. Denn neben ihrer gemeinsamen Liebe zur Literatur brennen sie für jeweils unterschiedliche, gesellschaftlich relevante Themen: Maria-Christina Piwowarski unter anderem für Feminismus und Vereinbarkeit, Ludwig Lohmann unter anderem für Stadtentwicklung und Verkehrspolitik. Beides fließt in den Austausch über die Bücher ein.

Auf ihren Listen stehen Neuerscheinungen neben älteren Titeln, Romanen neben Lyrik und hin und wieder Sachbüchern.

Den Podcast gab es zunächst nur als Mitschnitt der Gespräche im Buchladen bei Instagram unter @blauschwarzberlin. Dort kann man sehen, dass das Hintergrundgeräusch durch das offene Fenster von der Straße her kommt. Seitdem ich das weiß, stört es mich kaum noch.

PILE

Eigentlich wollte ich mich auf deutschsprachige Podcasts beschränken, aber für den französischsprachigen „Pile“ muss ich eine Ausnahme machen. Hier ist das Konzept wirklich einmal so originell, dass ich mir wünsche, es möge auch für die deutsche Sprache kopiert werden: „PILE est le podcast pour trouver le bon livre pour le bon moment“, heißt es in der der Selbstdarstellung – der  Podcast, um das richtige Buch für den richtigen Anlass zu finden. Darauf verweist auch der Titel: pile poile bedeutet so viel wie „auf den Punkt genau“.

Die Autorin Claire Jéhanno sucht ihre Bücher danach aus, ob sie zu den Anlässen, die themengebend für ihre Episoden sind, passen: „Ein Buch, statt Netflix zu schauen“; „Ein Buch nach einem Umzug“; Ein Buch, wenn man ein Kind erwartet“, Ein Buch in der Métro“. Vor einer Einladung zu einem feinen Abendessen empfiehlt sie „Bel Ami“ von Guy de Maupassant, allen, die unter Grippe leiden, „Die letzten Meter bis zum Friedhof“ des finnischen Autors Antti Touamainen:

Jaako ist 37, als sein Arzt ihm eröffnet, dass er keine Grippe hat, sondern sterben wird, und zwar sehr bald: Jemand hat ihn über längere Zeit hinweg vergiftet. (Kladdentext)

Die Auswahl der Lektüre ist genreübergreifend, vom historischen Roman über Comics bis hin zu Ratgebern. Jede Episode ist in der Regel nur ca. fünf Minuten lang. Mit Musik und Soundeffekten versetzt Claire Jehanno ihre Hörer*innen in die jeweilige Situation. Das Medium Podcast hat sie nicht zufällig gewählt, wie sie in einem Interview berichtet:

„Mit meiner Stimme kann ich auf eine sehr direkte Art meine Lieblingsbücher teilen – ‚Pile‘ kommt direkt in den Ohren der Menschen an“.

Interessant auch, was Claire Jehanno über ihre Hörer*innen sagt:

Die Hörerschaft von PILE, das sind zwangsläufig häufig Menschen, die es lieben, zu lesen, aber interessanterweise nicht nur. Bestimmte schätzen es einfach, in eine bestimmte Situation einzutauchen, einen kurzen Ausschnitt aus einem Text zu hören.

PILE kann man auch bei Instagram und Twitter folgen.

Hanser Rauschen

Der Podcast der Hanser-Literatur-Verlage ist in meine Top 5 (die einmal eine Top 3 werden sollte) gerutscht, als ich die Episode des Lektors Florian Kessler mit der Hanser-Autorin Karen Köhler gehört habe. Niemals vorher habe ich einen so guten Einblick erhalten, wie ein Lektorat abläuft, noch nie nachgefühlt, wie heftig es für Autor*innen sein muss, ihren Text zurückzubekommen und – wie im Fall von Karen Köhler – 6000! Anmerkungen darin zu finden. Und dann doch zu erkennen, dass es gut ist, sich damit auseinanderzusetzen. (Nach der Folge hatte ich ernsthaft die Frage im Kopf, ob der Roman/Krimi „Tod eines Lektors“ schon geschrieben wurde.)

Ich bin noch nicht sicher, ob es nicht eigentlich vorrangig Karen Köhler war, von der ich so begeistert war. Die Hosts dieses Podcasts wechseln, damit zumindest in den ersten Folgen auch die technische Qualität der Aufnahme. Es sind die Lektoren des Verlags, und die laden sich auch mal Autor*innen von der Konkurrenz ein, was bemerkenswert ist. „Die Idee ist, Leute zusammenzubringen, die sich gut kennen, damit ein persönliches Gespräch entsteht“, sagt die Online-Managerin Frauke Vollmer im Magazin Börsenblatt zum Konzept.

Laut Vollmer möchte sich der Verlag in der Branche und beim Publikum mit hochwertigen Gesprächen positionieren und eine „relevante Plattform“ werden. Das führt gleich in Episode zwei zu einem anregenden Gespräch zwischen der Hanser-Literatur-Lektorin Lina Muzur mit Dirk von Lotzow, der sein Debüt im KiWi-Verlag veröffentlicht hat.

Podcasts über Bücher – eine Übersicht

Wer nun die eigenen Favoriten entdecken möchte, findet in dem bereits erwähnten Übersichtstext im Börsenblatt zahlreiche Hinweise auf Podcasts, allerdings vorrangig von Verlagen. Die Herangehensweise ist dabei immer ähnlich – man spricht zu zweit über Bücher oder mit den Autor*innen selbst. Bleibt abzuwarten, ob auch in Deutschland neue Varianten dieses Settings einfallen, ähnlich wie bei PILE.

Ebenfalls gerne gehört:

Sexy und bodenständig – der Podcast der Autor*innen Till Raether und Alena Schröder handelt ausschließlich vom Schreiben und versteht sich als Service für Kolleg*innen: In ihrem „Entlastungs-Podcast“ wollen die beiden darüber reden, was am Schreiben schwierig ist und wie man es sich leichter macht. Das ist natürlich auf für Leser*innen interessant, weil die (übrigens auch sehr lustigen) Gespräche gute Einblicke in den Schreib-Prozess schaffen.

Seite 37 von detector.fm hat meistens ein Schwerpunktthema wie „Lesen im Urlaub“ „Literatur und Videospiele“ und funktioniert wie eine Magazinsendung: Es gibt Interviews „von draußen“ Einspieler, manchmal Gäste.

52 besteBücher ist eine wöchentliche Radiosendung im im Schweizer Radio (SRF), in dieser Übersicht also eine Ausnahme. Ich mag sie unter anderem deshalb, weil ich so gerne das Schweizerdeutsch der Moderator*innen höre. Die nehmen sich eine Stunde Zeit für jeweils eine Neuerscheinung, vorgestellt in einem Gespräch mit den Autor*innen, die Auszüge aus ihren Büchern lesen. In der kompakten Version der Sendung dauert das Ganze dann nur gut 10 Minuten.

Und dann gibt es ja auch immer wieder tolle Gespräche mit Autor*innen in Christian Möllers „Durch-die-Gegend-Podcast“, zum Beispiel mit Peter Wawerzinek, Juli Zeh, David Wagner und Heinz Strunk. Ich habe in diesem Blog an anderer Stelle schon ausführlicher über den Podcast geschwärmt.

Letztes Jahr hat das Online-Radio detektor.fm Leseproben der Longlist zum Deutschen Buchpreis vertont. Eine sehr schöne Inspirationsquelle zum Lesen – darüber hat es Franziska Hauser mit der „Gewitterschwimmerin“ auf einen ganz besonderen Platz in meine realen Bibliothek geschafft.

Ich habe nicht alle Podcasts hier erwähnt, die ich gehört habe, zum Teil auch aus gutem Grund: bei einzelnen mochte ich nicht mal einer Episode bis zum Ende folgen. Vielleicht gibt es aber auch welche, die hier noch fehlen? Zu welchem Podcast auch immer: Ich freue mich über Feedback und über Hinweis auf weitere potenzielle Lieblingspodcasts.