:  Nach dem Ende eines Monats schreibe ich auf, was mich in den vergangenen Wochen beschäftigt hat, was ich gelesen, gehört habe und weiterempfehlen möchte, woran ich arbeite, was ich be-merkenswert gefunden habe.

Die Proteste gegen den Rechtsruck im Land gehen weiter. Erste Umfragen attestieren einen leicht rückläufigen Zuspruch zur AfD, aber in einem Maße, das doch noch alles offen hält. Ich betrachte sie in keiner Weise als beruhigend.

Wie kam es zum Aufstieg dieser Partei, die so offensichtlich gegen fundamentale Werte und Überzeugungen unseres Landes aufgestellt ist? Ich glaube, dass es gut ist, sich damit zu beschäftigen, um Strategien gegen die AfD zu entwickeln, soweit das noch möglich ist.

Die AfD und die Medien

In einem Spiegel-Interview vor der ersten Ausstrahlung ihrer neuen Talkshow hatte Caren Miosga angekündigt, auch Vertreter*innen der AfD einzuladen. Sie wurde dafür schon vor dem Start der ersten Sendung kritisiert, unter anderem von Elena Kountidou von den „Neuen Deutschen Medienmacher*innen“. Zu Recht, wie ich finde: Nachdem die ersten Folgen zu sehen waren, wünsche ich mir in dieser intimen Runde keine AfD-Politiker*innen. 

„Die Strategie von Rechtsextremen ist es nicht, Debatten zu führen, sondern Debatten zu zerstören“,

Elena Kountidou

Wie frei aber sind denn Talkshows in der Auswahl ihrer Gäst*innen, was die politische Couleur betrifft? Der Journalist Martin Rückert hat dazu ein Interview (bei den Riffreportern, Bezahlschranke) mit dem Medienrechtler  Tobias Gostomzyk von der TU Dortmund geführt. Interessant ist darin zu lesen, dass die Redaktionen von ARD und ZDF durchaus einigen Gestaltungsfreiraum haben. Zwar sind sie verpflichtet, „grundsätzlich alle in der Gesellschaft vertretenen Positionen in ihrer Breite abzubilden und dabei auch keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen Parteien (zu) machen“ (Gostomzyk). Gleichzeitig aber, und das halte ich für sehr wichtig, gilt dieses Gebot nicht für einzelne Sendungen, sondern für das Gesamtprogramm. Den Sendern steht es also frei, zu entscheiden, ob sie die Gleichheit über die Präsenz in Talkshows oder in nachrichtlichen Formaten herstellen. Darauf verweisen sowohl Tobias Gostomzyk als auch der Medienrechtler Wolfgang Schulz (bereits im Juli letzten Jahres in einem ähnlichen, frei zugänglichen Interview). Mich würde interessieren, ob es zu diesen Gestaltungsraum bei ARD und ZDF eigentlich eine fundierte Strategie gibt.

Die Präsenz der AfD im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in Zeitungen – letztere sind in ihrer Auswahl übrigens komplett frei – ist allerdings nur ein Schauplatz. Noch beunruhigender ist die Präsenz der AfD in Social Media. In einem Gespräch im Medienpodcast „Quoted“ von Nadia Zaboura und Nils Minkmar erklärt der Politikberater Johannes Hillje, wie erfolgreich die Partei in den sozialen Medien ist, vor allem bei TikTok. Da erscheint es fast hilflos, wenn Olaf Scholz ankündigt, die Bundesregierung werde nun auch auf TikTok präsent sein. 

Neben Social Media sieht Hillje zwei weitere Erfolgsfaktoren für die AfD: Die Stammleserschaft werde über die AfD-Medienkanäle wie in einer „Parallelwelt“ informiert – und genau diese Stammwählerschaft bringe die AfD auch immer wieder in die Parlamente. Darüber hinaus arbeiten die Medienexpert*innen der AfD sehr zielgruppenorientiert und nutzen inzwischen verstärkt auch Anzeigenblätter, um ältere Menschen zu erreichen.

Gefragt, was dagegen zu unternehmen sei, betont Hillje wie wichtig es für Medien sei, in die Räume zu gehen, in denen die AfD stark auftrete. Vor Ort, wo sie Leerstellen besetze und sich der Anliegen der Menschen scheinbar als einzige Partei annehme. Hier brauche es Gegenstimmen.

Neben der Bundesregierung ist seit Februar auch die Initiative „Use the news“ mit den „Social News Daily“ auf TikTok präsent. Das Angebot ist Teil der Kampagne „Jahr der Nachricht“. Die hat zum Ziel, junge Menschen für Nachrichten und faktengetreue Information zu begeistern. Ob das gelingt, kann nun auf verschiedenen Social-Media-Kanälen beobachtet werden – die „Social News Daily“ gibt es auch bei Instagram und YouTube. Der Ansatz, dass junge Menschen hier mitreden, wenn Nachrichten für sie gemacht werden, ist genauso richtig wie die Mechanismen von Desinformation aufzuzeigen. Bleibt abzuwarten, was beides bewirken kann. Wir unterstützen die Aktion in unserer Agentur Mann beißt Hund – warum, haben wir zu Ende letzten Jahres bei uns im Blog aufgeschrieben. Über den Start der Social News Daily berichtet Use The News auf der Website.

Vor Ort gegen Rechtsextremismus

Ein Journalist, der sich seit vielen Jahren mit der AfD und dem Erstarken rechtsradikaler Strömungen, besonders im Osten, auseinandersetzt, ist Matthias Meisner. Schon im Sammelband „Unter Sachsen“ (zu beziehen auch über die Bundeszentrale für politische Bildung), den er mit seiner Co-Autorin Heike Kleffner bereits 2017 herausgegeben hat, wird die Beteiligung der CDU am Aufkommen der Pegida-Bewegung und der AfD in Ostdeutschland als Kontinuum über Jahrzehnte ganz offensichtlich. 

Im Gespräch mit Caroline Emcke in ihrem Podcast „In aller Ruhe“ wirbt er wie Hillje dafür, die Initiativen vor Ort zu stärken, die Akteur*innen zu unterstützen, die sich gegen die antidemokratischen Kräfte wehren, und zwar in den lokalen Strukturen: in den Schulen, bei der Feuerwehr, in der Nachbarschaft. Dort nämlich habe die AfD längst eine Art Normalität erreicht, immer wieder indem sie mit der CDU kooperiere: „Die Brandmauer gibt es im Stadtrat faktisch nur nicht.“  Das Podcastgespräch mit Carolin Emcke ist sehr empfehlenswert.

Demokratiebahnhof Anklam

Ein solches Projekt vor Ort ist der Demokratiebahnhof in Anklam, der wegen Baumängeln nun geschlossen werden soll. Eine Alternative für den Anlaufpunkt vieler Jugendlicher gibt es nicht. 

»Hier werden Alternativen aufgezeigt. Wir vermitteln Werte, sind ganz klar gegen Diskriminierung«, erklärt Nicolai. Auch für manche Geflüchtete sei das Jugendzentrum ein Anlaufpunkt. Damit macht sich der Demokratiebahnhof in der Umgebung auch Feinde: Vor einigen Jahren griffen Rechtsextreme das Gebäude mit einem Molotowcocktail an, immer wieder würden Farbbeutel geworfen oder rechte Sticker verklebt.“

Neues Deutschland, 25.2.2024

Bei Change.org kann man eine Petition unterschreiben, die dem Landrat vorgelegt werden soll, um einen alternativen Ort für den Demokratiebahnhof zu finden.

Sport oder Politik? Sport und Politik

Das diesjährige Brecht-Festival in Augsburg lädt ein, für die Zukunft zu trainieren – im wahrsten Sinne des Wortes in einem riesigen Fitnessstudio, das zum Teil der Veranstaltung wird, mit Yoga, Kraftsport, Voltigierübungen, Kampfsport. Ich hatte es zunächst als Ausdruck einer Gesellschaftskritik verstanden, als ich ein Zitat der Philosophin Eva von Redecker zur Eröffnung im Deutschlandfunk hörte:

So lange Arbeitnehmer lieber pumpen gingen, als sich politisch zu organisieren, müssen man eben damit arbeiten. Kurz: Die Selbstoptimierung kommt vor der Weltoptimierung.

Deutschlandfunk, 29.1.

Der Kurator des Festivals, Julian Warner sieht aber gar keinen Gegensatz darin, sondern will „mit dem Naheliegenden anfangen“, um der Zukunftslosigkeit zu begegnen. 

Laut Bericht über das Festival in der SZ gelingt es damit, ganz unterschiedliche Menschen aus der Stadtgesellschaft für das Festival zu interessieren. Nicht nur deshalb gefällt mir die Idee sehr gut. Ich glaube, dass Bewegung offener macht für politische Ideen, dass es in der Tat ein guter Anfang sein kann, Sport, Politik und Kultur zusammenzubringen und damit die Kulturblase für neue Interessierte zu öffnen.

Die Stoikerin

Vor genau zwei Jahren habe ich in meinem Podcast „Lob des Gehens“ mit Christian Sauer über „Gehen im Regen“ gesprochen. Und dabei wurde mir klar, wie sehr unsere Haltung zum Wetter durch das bestimmt sein könnte, was ein Grundsatz der Stoiker beinhaltet:

„Wir müssen aus den Dingen, die in unserer Macht stehen, das Beste machen, und alles andere so nehmen, wie es ist.“

Epiktet, Lehrgespräche 1.1

Anfang Januar hatte ich den Eindruck, dass es in diesem Jahr hilfreich sein könnte, sich mit den Stoikern noch einmal intensiver zu beschäftigen (die Überlieferungen der Ideen aus dem Altertum entstammen nur von Männern). Um angesichts der multiplen Krisen nicht in Apathie zu verfallen, erscheint es mir sinnvoll, sich seines eigenen Wirkens bewusst zu werden.

Ich bin sehr dankbar, dass ich per Zufall auf das Buch „Die Stoikerin“ von Anne Gehrmann gestoßen bin. Der Titel hat mich angezogen, Titelbild und Untertitel hätten es mich fast gleich wieder zur Seite legen lassen („Dein Weg zu innerer Stärke, Gelassenheit und Glück“) – wie schade. Anne Gehrmann hat ein gutes Buch zum einfachen Einstieg in die Lehre der Stoiker geschrieben, das viel mehr ist als Glücksratgeber. Sie macht an vielen Beispielen deutlich, wie die Lebensphilosophie insbesondere auch für Frauen im Alltag eine gute Grundlage bietet, um sich den Ereignissen um sich herum nicht ausgeliefert zu fühlen, sich besser fokussieren zu können und sich unabhängiger zu machen von den Urteilen anderer.

Anne Gehrmann teilt die Definition des Autors und Therapeuten Donald Robertson, um in einem Satz zu erklären, was wesentlich ist für den Stoizismus:

Stoizismus ist eine antike griechische Philosophie, die besagt, dass wir tun sollen, was wir können, und zwar nach besten Kräften und so weise wie es uns nur möglich ist, während wir akzeptieren, dass externe Ereignisse nie komplett unter unserer Kontrolle sind.“

Donald Robertson

Was mich am Stoizismus fasziniert: Es ist eine rationale, wissenschaftsfreundliche Philosophie, mit spirituellen Anteilen, dabei aber sehr klar auf die Unvermeidbarkeit des Todes gerichtet, dessen Akzeptanz unser Leben bestimmt. Vor allem ist sie offen für Korrekturen und damit wenig dogmatisch: eine „Philosophie mit offenem Ausgang“ heißt es bei Massimo Pigliucci. Die Natur, ihr Erleben und Verstehen spielen eine wichtige Rolle.

Es ist das Schicksal der stoischen Philosophie, in vielen Ratgebern zur reinen Selbstoptimierungslehre degradiert worden zu sein. Interessant deshalb, dass Anne Gehrmann in ihren Literaturempfehlungen für die weitere Auseinandersetzung Ryan Holiday nicht empfiehlt. Er hat eines der wohl erfolgreichsten Bücher geschrieben.  Als „Motivationskünstler“ aus dem Sillicon Valley wird er unter anderem wegen einer gewissen Plattheit seiner Sinnsprüche kritisch gesehen (Sebastian Friedrich, in „der Freitag“ Ausgabe 49/2022).

Der Deutschlandfunk berichtete über den „Stoizismus für Selbstoptimierer“ schon 2017.  Noch schlimmer aber: Anne Gehrmann beschreibt, dass auch die Maskulisten die Stoiker längst für sich entdeckt haben. Sie erklärt, welche grundsätzlichen Missverständnisse diesen Aneignungen zu Grunde liegen. Folgt man ihr in ihren gut verständlichen Erläuterungen der Grundideen der antiken Philosophie, so wird nachvollziehbar, dass die Stoia weder Egozentrismus, Maskulismus noch eine apolitische Haltung fördert, sondern von den Grundgedanken das Gegenteil all dessen bedeutet. Mir ist durch die Abgrenzung von diesen kritischen Punkten noch klarer geworden, dass der Stoizismus – anders als sich im umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes „stoisch“ suggeriert t – eine sehr soziale Philosophie ist. Das moralische Handeln im Sinne des Wohls der Gemeinschaft steht im Vordergrund. Gleichzeitig werden die menschlichen Grenzen anerkannt.

Sehr interessant übrigens: Neuere, evidenzbasierte psychologische Ansätze wie die Verhaltenstherapie basieren auf wesentlichen Grundgedanken des Stoizismus.

Anne Gehrmann ist in zwei Folgen im Stoiker-Podcast zu hören. Im ersten Teil geht es unter anderem um den Umgang mit Sexismus am Arbeitsplatz – ein durch und durch unglückliches Beispiel, das die männlichen Moderatoren da ausgewählt haben, weil es zu Missverständnissen geradezu einlädt. Davon abgesehen bieten die Folgen eine erste Idee zu einer weiblichen Lesart des Stoizismus und erklären auch, warum so wenige Frauen damit verbunden werden: Sie sind bis heute in der Philosophie unterrepräsentiert. Aber es gibt Ansätze, das zu ändern: Anne Gehrmann berichtet von einer internationalen Konferenz für Frauen, die Stoicon Women 2022, deren Beiträge hier noch zu sehen sind. 

Daniel Schreiber

Ich habe meine guten Vorsätze aus dem Januar erfüllt und gleich zwei Bücher aus der Trilogie „Nüchtern“, „Zuhause“ und „Allein“ von Daniel Schreiber gehört. Nüchtern wartet nun noch auf die Lektüre und ist schon im Gepäck. Bei beiden Büchern habe ich Daniel Schreibers Art zu schreiben sehr bewundert, seinen Ansatz, biografische Erfahrungen mit allgemeinen Erkenntnissen aus Literatur und Philosophie zu verweben und sie damit verständlicher zu machen – zu beiden Seiten hin, der theoretischen wie der praktischen. Die vielen Verweise sind großartig, Daniel Schreiber zu lesen ist wie Surfen im Netz mit einem kompetenten Kompass. Er findet Worte für das, was viele Menschen fühlen – zum Teil kann er es mit Hilfe anderer Denker*innen sogar erklären. Ich glaube, dass es das ist, was seine Bücher so erfolgreich macht. Es ist unbedingt empfehlenswert, sie sich von ihm vorlesen zu lassen: „Zuhause“ und „Allein“ findet man bei Spotify.

Veränderungen im Team Mann beißt Hund

In unserer Agentur gibt es Veränderungen, die mich freuen: Seit Februar gehört Christian Friedrich zum Team, mein Co-Host im Podcast „Hamburg hOERt ein HOOU“ (der sich passenderweise auch gerade verändert und deshalb eine kleine Pause eingelegt hat). Wer wissen will, was Christian zu uns führt und wer das eigentlich ist: Im Blog bei Mann beißt Hund gibt’s ein Interview.

Musik

Manchmal ist es der richtige Zeitpunkt, der dafür sorgt, dass aus einem Lied ein Hit wird. Die Sängerin Soffie hatte kurz vor den landesweiten Protesten gegen Rechtspopulismus und das Erstarken rechtsradikaler Kräfte ein kurzes Video auf TikTok gepostet. 

Durch die Demonstrationen gegen Rechts hat das Lied an Popularität gewonnen. Er bietet vielen Menschen eine Projektionsfläche und stiftet Zusammenhalt in einer Zeit, die von Krisen geprägt ist. So erklärt sich auch Soffie den plötzlichen Erfolg: Es war „vielleicht auch ein bisschen das Timing.“

Stuttgarter Nachrichten, 26. Februar 2024

Ich mag Soffie und ihren Song.