Warum wir eine neue Kultur der Publikumsfinanzierung für unabhängige Medienangebote brauchen

Viel zu oft werden die negativen Folgen der Digitalisierung heraufbeschworen, wenn vom Wandel unserer Medienlandschaft die Rede ist. Dabei hat sich jenseits des Zeitungssterbens und des vermeintlichen Qualitätsverlusts mit den neuen Möglichkeiten des Publizierens eine beachtliche Reihe neuer, unabhängiger Angebote entwickelt. Es lohnt sich, den freien Online-Magazinen, Portalen und Podcasts Aufmerksamkeit zu schenken, ihre Arbeit zu würdigen und sie vor allem finanziell zu unterstützen. Letzteres gilt immer noch als großzügige Geste, sollte aber längst selbstverständlich sein. Denn die Neugründungen bereichern unsere Medienlandschaft, schaffen eine Vielfalt der Stimmen, neue Formate und stützen die unabhängige Berichterstattung. Und viele sind auf das Geld ihres Publikums angewiesen, um weiter arbeiten zu können.

Alternative Angebote zu klassischen Medien

Die Rede ist von den „Krautreportern“, „Riffreportern“, „Übermedien“ und vielen weiteren unabhängigen Medienangeboten. Sie haben ein gemeinnütziges Recherchezentrum gegründet (Correctiv) oder das „digitale Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur“ (Republik). Sie treten als „konstruktives Online-Magazin“ auf (Perspective Daily) oder als „Online-Magazin zur Aufdeckung von Medizin-Fakes“ (MedWatch). Sie erproben sich in neuen Konstellationen – wie zum Beispiel beim Podcast „Lage der Nation“, mit Philipp Banse als Journalist und Ulf Burmeyer, der als Richter am Landesgericht Berlin arbeitet, oder beim Was-denkst-du-denn-Podcast, in dem die Journalistin Nora Hespers mit der Philosophin Rita Molzberger über alltagsphilosophische Themen diskutiert. Sie setzen den Fokus neu und erzählen Geschichten aus aller Welt konsequent aus der weiblichen Perspektive (Deine Korrespondentin). Oder sie starten einen Podcast, um über Dauerbrenner-Themen wie Mediennutzung von Kindern endlich einmal so zu berichten, wie es sich viele Eltern wünschen: fundiert, persönlich, evidenzbasiert und unaufgeregt („Nur 30 Minuten“von Patricia Cammarata und Markus Richter). Andere sind schon viele Jahre aktiv, wie das Watchblog BILDblog, das seit 2004 „die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme der Medien“ erfolgreich dokumentiert. Bei Twitter habe ich eine Liste angelegt mit all den Medienangeboten, die einen eigenen Account haben, die gerne ergänzt werden darf.

„Pionierjournalismus“ treibt den Wandel voran

Die Wissenschaft, konkret das DFG-Projekt „Pionierjournalismus“ am Leibniz-Institut für Medienforschung, definiert die Menschen, die hinter den Angeboten stehen, als „Pioniergemeinschaften“, also als Gruppen, „die nicht nur ein Sendungsbewusstsein haben, sondern auch Ideen eines medienbezogenen Wandels entwickeln, an dem sich unter Umständen auch breitere soziale Diskurse orientieren.“ Mit anderen Worten: Es sind mutige, kreative und engagierte Menschen, die Leerstellen oder Schwachpunkte in den klassischen Medien entdeckt oder auch selbst erfahren haben und mit neuen Ideen neue Formen des Journalismus oder der Publizistik schaffen wollen. Sie ersetzen etablierte Medien nicht, sondern sie inspirieren, korrigieren und erweitern sie und schaffen so eine breitere Vielfalt. Fast alle treibt der Wunsch, unabhängig arbeiten zu können. Und wenn sie über ihre Projekte berichten, gibt es bei allen Unterschieden in der Regel eine Gemeinsamkeit: Alle stecken sehr viel Zeit und Leidenschaft in ihre „Babys“. Die meisten suchen eine direkte Beziehung zu ihrem Publikum, das sie über Spenden finanziert, Anregungen und direktes Feedback gibt – was sich wiederum positiv auf die Qualität der Angebote auswirkt.

Eine neue Ethik der Spendenbereitschaft ist gefragt

Warum wir uns als Hörer*innen oder Leser*innen an der Finanzierung beteiligen sollten, hat für mich bislang niemand so überzeugend dargestellt wie der Autor Sam Harris, wenn er seine Community im minutenlangen Eingangspitch auf die Unterstützung seines „Making-Sense-Podcasts“ einschwört:

„What we need is a new ethic on culture of sponsorship, where each of us takes the time to support the work we value. Otherwise the work wouldn‘t be done – or would be nearly as good as it could be“. (Sam Harris, „Making Sense”, Episode 68: „Reality and Imagination – A conversation with Yuval Noah Hurari“)

Für Harris macht es einen wesentlichen Unterschied, ob sich ein publizistisches Angebot durch Werbung oder durch die Beiträge des Publikums direkt finanziert. Er sieht seine Freiheit und die Qualität seiner Arbeit eingeschränkt, wenn er sich „über die Schulter sehen“ lassen müsse oder das Gefühl habe, durch finanzielle oder auch beruflich-existenzielle Abhängigkeit als Angestellter angreifbar zu werden.

Medienkritik braucht Unabhängigkeit

Wie wichtig die Unabhängigkeit für eine wirksame Medienkritik ist, stellte zu Ende dieses Jahres wieder einmal ein Text bei Übermedien unter Beweis. Das Online-Medienmagazin besteht seit 2016 und finanziert sich über mittlerweile mehr als 3.800 Abonnent*innen.

Mitte Dezember erschien bei Übermedien ein Text über die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung zum Fall des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein. Übermedien-Mitgründer Boris Rosenkranz fragt sich, wie es sein könne, dass in der gesamten Darstellung des Falls in der SZ in mehreren Artikeln nicht einmal der Name des amerikanischen Literaturagenten John Brockmann auftauche, dessen enge Verflechtungen zu Epstein und dessen Mitwirkung am gesellschaftlichen Aufstieg des Investmentbankers allgemein bekannt seien.

Die Analyse ist pikant, denn sie zielt auf den SZ-Feuilleton-Chef Andrian Kreye, der mit Brockmann bekannt sei und dem Brockmann Autor*innen für die SZ vermittelt habe. Kreye hat sich bis heute nicht zu den Vorwürfen geäußert. Auf die Frage, wie es zu den „Leerstellen“ in der Berichterstattung komme, vermutet Rosenkranz:

„Es wirkt, als seien sie mit Absicht offengelassen worden. Aus Rücksichtnahme auf einen engen Partner der Zeitung, der mit einem ihrer leitenden Journalisten eng verbunden ist.“

Dass dieser Text niemals in der SZ hätte erscheinen können, steht außer Frage. Ich vermute aber, dass er auch in der FAZ oder anderen überregionalen Medienredaktionen zumindest problematisch, wenn nicht unmöglich gewesen wäre. Zu direkt ist hier der Angriff auf einen Kollegen. Zu schwer wiegen die Vorwürfe gegen ein Konkurrenzmedium, das sich niemand zum Feind machen möchte. Die Medienkritik ist ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig die beruflich-existenzielle Unabhängigkeit für eine freie Berichterstattung ist.

Experimentierlabor für den Journalismus

Neben der inhaltlichen Unabhängigkeit ist auch die freie Entscheidung über die Formate ein großer Pluspunkt, den alternative Medien einbringen. Sie schaffen Labore für Experimente, in denen sich Ideen schnell, unbürokratisch und im kleinen Rahmen ausprobieren lassen. Daran sind immer wieder auch Menschen beteiligt, die es in klassischen Medien vielleicht niemals auf eine feste Position als Redakteur*in geschafft hätten – die mangelnde Vielfalt in der Besetzung der Redaktionen stellt sich ja bis heute als nicht gelöstes Problem dar.

Wir sollten als Publikum also ein großes Interesse daran haben, diese Pionier*innen zu unterstützen. Die Finanzierung ist ihr großer Schwachpunkt gegenüber öffentlich-rechtlich finanzierten Angeboten und den großen Medienhäusern, nicht zu selten scheitern die Gründer*innen irgendwann daran. Dabei ist es – ebenfalls ein positives Ergebnis der Digitalisierung – niemals so leicht gewesen wie heute, ein journalistisches Start-up direkt zu unterstützen. Viele sind auf der Plattform „Steady“ gelistet, wo eine monatliche Summe mit nur einigen Klicks regelmäßig bei den Macher*innen landet. Oftmals fängt das mit Beiträgen an, die für die Zahlenden gerade mal den Verzicht auf einen Kaffee im Monat bedeuten.

Bezahlen, damit alle profitieren können

Das Besondere ist, dass das zahlende Publikum zugleich auch den Zugang zu Medienangeboten für diejenigen schafft, die sich das Abo einer Zeitung oder Zeitschrift nicht leisten könnten. Zwar arbeiten zum Beispiel Übermedien und Krautreporter mit Bezahlschranken, finden aber auch in diesem Modell immer wieder Möglichkeiten, die Angebote denen zugänglich zu machen, die wenig Mittel zur Verfügung haben. In einer guten Welt zahlen alle diejenigen dafür, die es sich leisten können, wenn sie freie Medien nutzen, und ermöglichen damit den Zugang auch denen, denen das Geld dafür fehlt. Bezahlschranken wären dann nicht mehr notwendig.

Ich halte es für wichtig, dass wir noch mehr darüber sprechen, welche Medien wir warum unterstützen – mit der Hoffnung, dass die Zahlungsmoral damit steigt und dass wir eine neue Kultur der Zahlungsbereitschaft etablieren. Es muss selbstverständlicher werden, für unabhängige Medien zu zahlen, wenn wir sie regelmäßig nutzen – und ein No-Go, das zu unterlassen. So würden alle, die die Angebote unterstützen, dazu beitragen, dass freie alternative Medien auch in Zukunft unsere Medienlandschaft bereichern und inspirieren.

Meine persönliche aktuelle Auswahl ergibt sich stets daraus, welche Angebote ich tatsächlich regelmäßig nutze (Stand Dezember 2020).

Weiterlesen, Weiterhören:

Podcast „Frequenz“ bei Viertausendhertz vom 13.9.2019: Hörer*innen-Finanzierung – Wenn das Publikum zum Arbeitgeber wird

Andreas Hepp, Wiebke Loosen (Journalism 1/19): Pioneer journalism: Conceptualizing the role of pioneer journalists and pioneer communities in the organizational re-figuration of journalism

Christopher Buschow, Wettbewerbsbeitrag zum Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung (2017): Wie entsteht zukünftig Journalismus? Zur Produktion von Öffentlichkeit in Zeiten ihrer Krise. (PDF)

Margo Aaron: „How Sam Harris Is Supporting His Work Without Running Ads“ (May 1, 2017) first published in „The Observer“