Der Medienjournalist und Blogger Stefan Niggemeier, selbst Macher (mindestens) zweier Podcasts, hört selbst selten welche. Das gesteht er Christian Möller, dem Autor des Podcasts „Durch die Gegend“, der sich mit ihm zum Gespräch und zum Spaziergengehen draußen außerhalb von Berlin verabredet hat. Hier kommt Niggemeier auf die Idee, dass man beim Laufen mit Hund eigentlich sehr gut Podcasts hören könnte. Sollte er ausprobieren – und am besten mit „Durch die Gegend“ anfangen. Genau das schlägt auch Christian Möller vor. Niggemeier übernimmt die Vorlage:
„Das wäre ja verwirrend. Dann wäre man in der Gegend und würde anderen Leuten zuhören, wie sie durch die Gegend gehen“.
Christian Möller dreht es weiter:
„Wenn jetzt Leute den Podcast hören, und uns beim durch-die-Gegend-Gehen zuhören, während sie durch die Gegend gehen, und wir reden darüber, dass sie den Podcast hören, ich glaube, dann werden sie wahnsinnig.“
Man wird nicht wahnsinnig. Und es ist natürlich nicht verwirrend, „Durch die Gegend“ beim Gehen zu hören – ganz im Gegenteil: Diesen Podcast darf man überhaupt nur hören, wenn man selbst spazieren geht. Nur so entfaltet sich sein großer Reiz. Erst in Bewegung entsteht das Gefühl, direkt nebenherzulaufen, während Christian Möller sich mit Schriftstellerinnen, Musikerinnen, Journalisten oder Politikern unterhält. Ganz nah dran, das Knirschen der Steine beim Gehen direkt im Ohr, wie auch die Hintergrundgeräusche von der Straße oder aus Cafés, das leicht unregelmäßige, etwas schwere Atmen der beiden Laufenden, wenn sie sich beim Gehen unterhalten. Ich habe mich schon zwei- bis dreimal dabei ertappt, in Gedanken selbst eine Frage ins Gespräch zu werfen. Manchmal hat Christian Möller genau die dann gestellt. Und immer wieder habe ich mich umgesehen, wenn Geräusche eines heranfahrenden Autos zu hören waren und ich selbst am Rande einer Straße lief.
Während meines letzten Urlaubs habe ich eine ganze Reihe einzelner Folgen von „Durch die Gegend“ gehört. Vielleicht haben die Umgebung und die Ausnahmesituation meine Begeisterung getriggert. Der Podcast hat mich bei wunderbaren Morgenspaziergängen durch die Bergstraßen einer kanarischen Insel begleitet. Ich war unterwegs unter anderem mit Marina Weisband, Juli Zeh, Igor Levit, Volker Beck und David Wagner. Ich habe Persönliches, Nebensächliches, Überraschendes, auch Bekanntes von diesen Menschen erfahren, die ich meinte, aus den Medien schon etwas zu kennen. Zuhause habe ich getestet: Durch die Gegend funktioniert auch im Alltag, in den Parks und Straßen der Großstadt sehr gut.
Die Spaziergänger von „Durch die Gegend“ wurden mir beim Hören sympathisch oder ich habe sie nach über einer Stunde Begleitung etwas weniger gemocht. Wie auch immer der Eindruck war: Ich konnte mir selbst ein Bild machen. Denn Christian Möller nimmt sich als Person und Fragender zurück, lenkt das Gespräch nur so weit, wie es gerade nötig ist. Seine Gäste mäandern durch ihre Gedanken, für die er mit seinen Fragen oder einfach die Umgebung die Anstöße liefert. Sie erzählen von ihrer Kindheit oder kommentieren aktuelle Erlebnisse. Der Autor lässt sie in die Rolle von Flaneuren schlüpfen, die sich durch die Gegend treiben lassen und die das, was sie sehen und ihnen begegnet, zu Reflexionen inspiriert. Konsequent, dass Christian Möller die Wahl der Route seinen Gesprächspartnern überlässt.
Er unterbricht nur selten, hat keinen Gesprächsleifaden und stellt keine konfrontativen Fragen. Hat man in Interviews oft das Gefühl, es soll ein rundes Bild entstehen, so bleibt es hier bei Fragmenten. So viel, wie die Person zu geben bereit ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Als Schorsch Kamerun nach einer Stunde aufhören will, lässt Christian Möller Bedauern erkennen (viele Folgen dauern über 90 Minuten) – aber macht dann auch Schluss. Schorsch Kamerun ist übrigens der einzige von denen, die ich bisher „durch die Gegend“ begleitet habe, der es explizit anstrengend findet, über sich selbst zu reden – was man nach einer Stunde Zuhören ganz gut nachvollziehen kann. Die anderen scheinen dankbar, hier selbst den Takt angeben und die Richtung bestimmen zu können, in die das Gespräch läuft – und damit auch das Bild selbst zu formen, das von ihnen entsteht.
Die Auswahl der Gesprächspartner hat mich von Anfang an beeindruckt. Christian Möller gehörte zu den ersten Journalisten, die sich mit dem Grünen-Politiker Volker Beck nach dessen kurzen Rückzug aus der Öffentlichkeit unterhalten haben. Er war letztes Jahr beim Kauf von Drogen erwischt worden. Unaufgeregt lässt der Autor den Vorfall gleich zu Anfang ins Gespräch einfließen und überlässt es Volker Beck, das Thema zu steuern. Christian Möller weiß, wie man Menschen sensibel begegnet. Mit Juli Zeh spricht er darüber, wie Medien sie immer wieder in ein bestimmtes Schema pressen. Wie sie an der Uni lernen musste, mit deutlicher Kritik an ihren Texten fertig zu werden, weil sie dem als überholt geltenden Prinzip des auktorialen Erzählers anhing und damit gegen den Zeitgeist schrieb. Marina Weisband erklärt, warum sie die Piraten verlassen hat und warum sie sich stundenlang in Bastelläden aufhalten kann. Christian Möller hat Menschen für den Gang „Durch die Gegend“ gewonnen, die mich als öffentliche Personen fast ausnahmslos interessieren.
Ich hoffe auf noch viele weitere Folgen, dürft ich Wünsche äußern, zum Beispiel mit Dunja Hayali, Carolin Emcke, Dirk von Lowtzow, Margarete Stokowski, Manuela Schwesig, Daniel Schreiber oder Kathrin Passig. Gespannt bin ich auf die angekündigte Folge mit Sibylle Berg. Und sehr gerne wäre ich als Hörerin dabei, wenn einmal jemand mit Christian Möller durch die Gegend läuft. Am besten durch Lübbecke bei Minden. Dort ist er aufgewachsen, und ich war überhaupt nicht erstaunt, zu hören, dass dieser Autor ein Ostwestfale ist.
„Durch die Gegend“ erscheint im Podcast-Label Viertausendhertz. Über dessen Konzept erfährt man mehr in einem Gespräch bei SRF 4 mit einem der Gründer, Nicola Semak (letzter Teil des Beitrags). Bislang sind 16 Folgen von „Durch die Gegend“ erschienen, den Podcast kann man hier abonnieren.
Der Autor Christian Möller arbeitet als freier Journalist und Radiomoderator in Köln, unter anderem für den WDR und Deutschlandradio.
Entweder ich habe für meinen Text abgeschrieben oder wir haben den gleichen Podcast gehört. Spaß beiseite, ich kann jedes Wort unterschreiben. Dunja Hayal wäre wirklich ein toller gast für „Durch die Gegend“. Ein schöner Text.
Dunja Hayali meine ich, natürlich.
Danke. Was hast du denn geschrieben?
Meine eigene kleine Liebeserklärung an „Durch die Gegend“.
https://audiophilonline.wordpress.com/2018/01/22/durch-die-gegend/
Danke – den habe ich ja sogar schon gesehen :-), war mir nur nicht ganz sicher.