Ein Podcastquartett diskutiert die ganze Bandbreite der Popkultur

Über „Kulturindustrie“ wollte ich eigentlich schon vor knapp drei Jahren schreiben: Ich hatte  einen Kulturpodcast gefunden, wie ich ihn mir immer gewünscht hatte. Das Glück war damals von kurzer Dauer: Leider wurde kurz nach meiner Entdeckung, im Juni 2018 (Folge 18), angekündigt, dass es die vorläufig letzte sei. Nun gibt es seit Herbst letzten Jahres ein Comeback. Am 14. Oktober erschien der Trailer: „Wir sind zurück!“. Und das ist wirklich eine der guten Nachrichten aus 2020. 

Fundierte Kritik

Wie beim Literarischen Quartett, mit dem der Podcast zu Unrecht mal verglichen wurde, gibt es die Konstellation „Gruppenbild mit Dame“, hier dankenswerter Weise ohne Star in der Runde. Kulturindustrie ist weiter und wilder als das TV-Format. Es diskutieren, jetzt ca. alle vier Wochen, der Filmkritiker Lucas Barwenczik, der Blogger Sascha Brittner, der Journalist Alexander Matzkeit und die Podcasterin Mihaela Sartori. Alle Bezeichnungen treffen jeweils nur einen kleinen Teil dessen, was die vier (neben-)beruflich machen. Im Netz sind sie an verschiedenen Orten unterwegs. Sie bringen Erfahrungen als Kritiker*innen mit, einen breiten Rezeptionshintergrund und jeweils eigene Fachgebiete. Beste Voraussetzungen also, um die eigene Kritik fundiert und nachvollziehbar begründen und immer wieder auch hinterfragen zu können. Wenn es so meta wird, mag ich den Podcast besonders. Die persönlichen Einschätzungen vertiefen die vier durch Einordnungen, Bezüge, Verweise. Das klingt manchmal wie gehobenes Feuilleton, manchmal wie im Filmseminar und manchmal wie in der Kneipe beim Bier. Mir gefällt’s, denn alles ist durchzogen durch eine gute Mischung aus (Selbst)-Ironie und Humor. Nach einigen Folgen hat man schon das Gefühl, unter Bekannten zu sitzen.

Gut getaktet

Persönlichkeit ist sowieso das große Plus von Kulturindustrie: Jede*r der vier bringt Vorlieben, den eigenen Stil, die individuellen Spleens und Themen ein, alle schwärmen genauso leidenschaftlich wie sie ranten, beziehen sich aufeinander, bestärken oder widerlegen sich. Die Gefahr, sich dabei zu verlabern, haben die vier im Blick, und gut vorgebaut: „Kulturindustrie“ ist durchgetaktet, inzwischen mit alternierender Moderation. Jeweils eine*r aus der Runde stellt die Medien der Folge kurz vor und führt das Gespräch, das seit der Wiederaufnahme auch mal etwas mehr als eine Stunde dauert. Die Einführungen sind gescripted – ein Aufwand, der sich lohnt, weil die Zuhörer*innen damit gut abgeholt werden.

Stoff für die „innere Bibliothek“

Die Auswahl treffen die vier gemeinsam und es klingt manchmal durch, dass das nicht immer eine einfache Entscheidung ist. Kulturindustrie präsentiert insgesamt eine gute Mischung aus Kritiken von mir bekannten Werken (die ich kenne oder gerne lesen, sehen, hören würde) und Anregungen von mir komplett unbekannten Autor*innen, Regisseur*innen oder Musiker*innen. Diese sehr eigenwillige Zusammenstellung verschiedener Genres und Medienarten macht das Einzigartige des Podcasts aus und unterscheidet ihn ganz deutlich von den vielen Film-, Literatur-, Serien- und Spiele-Podcasts, die es inzwischen schon gibt. In der ersten Staffel gab es einmal ein Gespräch zur damals aktuellen „Metoo“-Debatte – sehr wünschenswert, wenn Diskussionen dieser Art auch in Zukunft wieder aufgegriffen würden. Und selbst wenn mich etwas zunächst eher gar nicht interessiert, wie etwa Besprechungen von Games oder Animes, kann ich davon etwas mitnehmen, und sei es nur der Einblick in eine Welt, die mir bislang eher verschlossen geblieben ist. Nach einer Episode „Kulturindustrie“ erlebe ich immer wieder das, was ich schon in meinem Text über Literaturpodcasts beschrieben habe: Meine „innere Bibliothek“ erweitert sich, nicht nur um Bücher, die nicht gelesen habe, sondern auch um Filme, die ich nicht gesehen, Spiele, die ich nicht gespielt habe und mehr. 

Aufmerksamkeitsökonomie als Herausforderung

Für den Einstieg in den Podcast empfehle ich sehr, die letzte Folge vor der Pause, Episode 18, zu hören. Da wird zum einen noch einmal deutlich, wie viel Aufwand hinter so einer freien Produktion steht, besonders, wenn sie einen professionellen Anspruch verfolgt. Bezeichnend fand ich die Debatte darüber, wie es bei einer mehr und mehr anwachsenden Anzahl an Podcasts überhaupt noch gelingen kann, Aufmerksamkeit zu erreichen. Viele freie Podcaster*innen machen die Erfahrung, dass es anders als noch vor ein paar Jahren sehr schwer geworden ist, das eigene Publikum zu finden. Ich kann den damals deutlich hörbaren Frust nachvollziehen – unter anderem gilt er den Auswahlmechanismen und Bewertungskriterien der zentralen Podcastplattform Apple. Andererseits ist fraglich, ob ein Podcast wie Kulturindustrie für Hörer*innen gemacht ist, die für ihre Auswahl die Apple-Charts und -Empfehlungen konsultieren. 

Mehr Podcastkritik

Wie erreiche ich mein Publikum? bleibt allerdings die große Frage. Sie bringt das Thema der immer noch fehlenden Podcastkritik auf, die kuratierend Orientierung schaffen könnte, wenn natürlich auch längst keinen Gesamtüberblick mehr. Auch dazu gibt es hier im Blog schon Überlegungen. Ich habe unter dem entsprechenden Text ein paar aktuelle Orte hinzugefügt, an denen sich Hinweise zu Podcasts oder Kritiken finden lassen. Und weil Empfehlungen wie diese hier ein Weg sind, habe ich mir vorgenommen, ab sofort wieder selbst mehr zu schreiben: über unabhängige Podcasts die mir gefallen und in denen so viel Arbeit und Herzblut steckt wie in „Kulturindustrie“. 

Zum Weiterlesen: 

Alexander Matzkeit: Der lange Weg zur Kulturindustrie. 17. September 2017, im Blog von Alexander „Virtual Reality“. Ein schöner Rückblick auf die Entstehungsgeschichte und welche Schleifen es manchmal braucht, bis so ein Podcast das Licht der Welt erblickt. Darin auch ein Link zum Konzept der Sendung