Was macht eine/n „Expert*in“ aus und wie findet man sie? Offensichtlich nicht so leicht, warum sonst begegnen uns in Medien so oft die immer gleichen und manchmal auch sehr fragwürdige?

In der vergangenen Woche ging es beim Deutschlandfunk um das Thema „digitales Klassenzimmer“. Ins Morgenprogramm hatte die Redaktion dafür einen „Experten“ eingeladen, der die Frage, ob wir in Deutschlands Schulen gerade den digitale Wandel und damit auch unsere Zukunft verschlafen, aus einer „etwas anderen Perspektive“ beleuchten sollte: den Psychiater Manfred Spitzer.

Einige Tage zuvor hatte ZDF-heute Manfred Spitzer als Gegenpart zu Verena Gonsch befragt. Sie vertritt in ihrem Buch die These, dass die „Generation Smarthphone kein Problem, sondern unsere Rettung ist“. Auch hier hatte man mit Spitzer einfach eine radikale Gegenposition gesucht und die Qualität seiner Aussagen dem hintenan gestellt.

Keine gute Hand bei der Expertenwahl

Der Deutschlandfunk musste für das Spitzer-Interview heftige Kritik aus den sozialen Medien einstecken – nicht überraschend und zu Recht. Es lässt sich nachlesen oder -hören, dass es keine gute Idee war, Manfred Spitzer erneut ein Forum für seine kulturpessimistischen und unwissenschaftlichen Thesen zu geben. Moderator Tobias Armbrüster widersprach nicht einmal der Aussage, digitale Medien verursachten Diabetes. Noch am Nachmittag wurde ein anderes Interview gesendet, dass einiges wieder geraderücken sollte.

Inhaltlich ist Manfred Spitzer schon vor Jahren und hinreichend kritisiert worden, Neues gab es von ihm nicht zu hören. Deshalb ist die interessantere und drängendere Frage, warum er immer wieder als „Experte“ eingeladen wird, wenn man sich eine kontroverse Diskussion über den Umgang mit Digitalisierung wünscht. Warum fällt auch Redaktionen der Qualitätsmedien nur der Name Spitzer ein, um eine Gegenposition zu der These zu entwickeln, ipad-Klassen könnten unsere Zukunftsfähigkeit sichern?

Der oder die erste ist nicht die beste Wahl

Die Reaktion des Deutschlandfunk lässt vermuten, dass die Verantwortlichen eher reflexhaft gehandelt haben. Um eine Diskussion möglichst konträr zu gestalten, lädt man den Experten oder die Expertin ein, die als erste einfallen. Meistens ist das nicht die beste Wahl, denn vielleicht sind die naheliegenden nur wegen markiger Sprüche und provokativer Zitate im Gedächtnis geblieben – oder sind einfach sehr präsent. Dass wir aktuell wieder von Spitzer hören müssen, hat wohl damit zu tun, dass er gerade wieder ein neues Buch herausgebracht hat, wenn auch zu einem ganz anderen Thema. Ein Buch alleine aber macht noch keinen Experten.

Als Entschuldigung für die unzulängliche Auswahl wird oft vorgebracht, dass den Redaktionen die Zeit fehle, dass die, die man lieber gehabt hätte, nicht zugesagt hätten – etc.. Argumente, die immer wieder auch dafür herhalten müssen, dass wieder mal ein Mann statt einer Frau zu hören ist. Das alles spricht noch mehr dafür, die Suche nach Interviewpartner*innen systematischer und professioneller anzugehen. Es würde unter anderem die Vielfalt sichern, die ein wichtiges Qualitätsmerkmal für eine seriöse Informationssendung sein muss.

Wann ist ein Mensch Expert*in?

Grundsätzlich sollte es auch eine Diskussion darüber geben, was überhaupt eine*n Expert*in ausmacht. Das Science Media Center (SCM) hilft Journalist*innen bei der Recherche und pflegt unter anderem eine Expertendatenbank. (Ergänzung 20.3.2018: Über Sinn und Arbeitsweise des SCM gibt es einen interessanten Bericht im Blog Wissenschaftskommunikation.de von der Redakteurin Marleen Halbach). Die Organisation ist auch deshalb interessant, weil sie Kriterien nennt, die gute Anhaltspunkte für die Auswahl von Expert*innen liefern:

  • Sie sind Wissenschaftler, zum Teil aber auch andere ausgewiesene Fachleute, etwa Menschen, die zunächst selbst geforscht haben und nun in einer Fachbehörde arbeiten, oder Personen, die sich über die Jahre eine verlässliche Expertise in einem Spezialgebiet angeeignet haben.
  • Sie haben sich bereit erklärt, wissenschaftliche Expertise für Journalisten sowie für Leser, Hörer und Zuschauer sichtbarer zu machen.
  • Sie haben etwas zu sagen und sie haben Interesse am Journalismus.
  • Sie haben relevante Forschungsergebnisse erzielt, Reputation in ihren Fachdisziplinen erworben und sind vielleicht auch in Gremien oder Fachgesellschaften aktiv.
  • Sie unterstützten das Ziel, zur öffentlichen Aufklärung mit evidenzbasierten Argumenten von Wissenschaftlern beizutragen.

Der wissenschaftliche Titel alleine ist eben kein Qualitätsmerkmal, dafür gibt es neben Spitzer zahlreiche weitere Beispiele. Auch für nicht-wissenschaftliche Expert*innen lassen sich noch weitere Kriterien ergänzen:

  • Sie haben ein vorrangig aufklärerisches Interesse und machen deutlich, wenn sie eine Position vertreten, zu der es auch andere Meinungen und Thesen gibt.
  • Sie haben Neues beizutragen, ihr Auftritt bringt mehr als die Wiederholung bekannter Argumente, die sie bereits in vielen anderen Interviews geäußert haben.
  • Sie achten die Interessen des Publikums, nehmen es ernst und hüten sich vor Panikmache.

Diesen Kriterienkatalog hätte Manfred Spitzer nicht überstanden.

Das Science Media Center ist eine Quelle, über die man Expert*innen für Interviews und auch als Talkshowgäste finden könnte. Es gibt weitere:

  • Der Informationsdienst der Wissenschaft idw mit dem „Expertenmakler“
  • Universitäten, die ihre Experten zum Teil mit eigenen Seiten vorstellen, im besten Fall mit Videoausschnitten
  • Das Portal Recherchescout – das allerdings auch kritisch gesehen wird, unter anderem, weil die Recherche nicht transparent gemacht wird.
  • Der Vielfaltfinder stellt Expert*innen aus ganz verschiedenen Bereichen mit Migrationsgeschichte vor und bietet verschiedene Recherchefunktionen an (nachträglich ergänzt, danke an Imke Bredehöft für den Hinweis)

Social Listening als Recherchemethode

Eine sehr gute Methode, die allen Journalist*innen offensteht, die sich in sozialen Medien bewegen, ist „einfach hinhören“, im Fachjargon „social listening“ genannt. Unter #digitaleBildung bzw. #zeitgemäßeBildung gibt es eine intensive Debatte über den Unterricht der Zukunft. Oder man fragt Kolleg*innen, die tiefer im Thema stecken.

Für das Thema „digitales Klassenzimmer“ hätte man auf diesem Weg seriöse und gute Expert*innen finden können, die die Digitalisierung der Schulen tatsächlich aus anderen Perspektiven als unter dem Aspekt der Sicherung von Arbeitsplätzen betrachten.

Aber leider fiel den Verantwortlichen an diesem Morgen doch wieder nur Manfred Spitzer ein. Wohl auch deshalb, weil sich für eine derart radikale Argumentation („Googeln sollte in der Schule verboten werden“) keine anderen „Experten“ finden lassen. Gerade das sollte Journalist*innen skeptisch machen.

Weiterlesen:

20.3.2018: Guter Hinweis von Nea Matzen (Danke!): Bei süddeutsche.de hat Emilia Smechowski heute einen tollen Text „die Erziehungspäpste“ (Bezahlschranke) über die männlichen „Experten“ jenseits der 50 geschrieben, die Ratschläge zu einer Aufgabe erteilen, die meistens durch Frauenarbeit geprägt ist.

Das Label „Experte“ wird dabei oft schon vergeben, wenn jemand auch nur ein Buch zum Thema veröffentlicht hat. Medien, Verlage, sie alle nutzen es, denn wo „Experte“ draufsteht, müssen seriöse Inhalte sein. Wie seriös all die Experten sind, wie profund ihre Thesen, bleibt oft unklar.

Weiterhören:

Noch ein Hinweis, diesmal von Andreas Hilmer (Danke!): In einem Spezial der Deutschlandfunk-Sendung „Breitband“ vom 31. März 2018 diskutierten die Autorin Kathrin Passig und der Psychiater Jan Kalbitzer in einem anregenden Gespräch über Expert*innen als Eliten: „Wie wird man schlechte Experten wieder los?“