#Monatsnotiz: Nach dem Ende eines Monats schreibe ich auf, was mich in den vergangenen Wochen beschäftigt hat, was ich gelesen, gehört habe und weiterempfehlen möchte, worüber ich nachdenke, was ich be-merkenswert gefunden habe.
Der Juni war ein Draußen- und Unterwegssein-Monat, so viel Aktion, dass die betrübliche gesamte Weltlage meistens nur durch die Nachrichten am Morgen zu mir gelangte. Auch eine Art der Flucht. Ich habe dabei deutlich weniger gelesen, als ich wollte. Die Bücherstapel zuhause wachsen um so mehr, je weniger ich lese. Also sie werden nicht nur nicht kleiner, sie wachsen, weil die Kompensation des Nicht-Lesens darin besteht, sich neue Bücher zu besorgen, die ich lesen könnte, wenn – ja wann denn nur?
Mehr Lesen im Leben
Ich mag die Klage „ich komme ja gar nicht mehr zum Lesen“ eigentlich nicht. Denn es ist ja jeden Tag eine Entscheidung, etwas anderes vorzuziehen, und meistens kann ich diese Entscheidungen sogar ganz gut nachvollziehen. Wenn ich mich beobachte, so sind eben die Monate mit viel Arbeit, Terminen, Menschen treffen, Sport und Veranstaltungen meistens die, in denen ich weniger lese. Also viele gute Gründe, gleichzeitig fehlt mir das Lesen dann auch.
Vermutlich bin ich deshalb in diesem Juni auf einen Podcast gestoßen, der schon im letzten Dezember erschienen ist: „Wir müssen Büchern einen Platz in unserem Leben einräumen“, eine Episode von „Geht da noch was?“, ein „Optimierungs-Podcast“ von ZEIT-online, den ich noch nicht kannte. Die Folge ist empfehlenswert: Den beiden Hosts Sebastian Horn und Lisa Hegemann nehme ich ab, dass der Untertitel nur ironisch gemeint sein kann. Viele der Tipps, wie wir mehr Lesen in unser Leben bringen, kommen von der Berliner Buchhändlerin, Podcasterin und Influencerin (ich würde sie so nennen) Maria-Christina Piwowarski, die selbst auch einen wunderbaren Podcast macht, der zu meinen fünf liebsten Bücherpodcasts zählt. Sie empfiehlt unter anderem, eine konsequente Verabredung mit sich selbst zu treffen und sich jeden Tag eine bestimmt Anzahl an Seiten vorzugeben (50 Seiten jeden Tag lesen, am besten nicht erst abends – und so lange, bis es „gelernt“ ist und zur Gewohnheit wird – etwa 21 Tage, meint Maria). Ich glaube, dass das durchaus funktionieren könnte, ein solches Date würde aber bei mir wieder mit anderen Verabredungen, die ich schon mit mir getroffen habe, in Konkurrenz geraten.
Außerdem hatte Sebastian Horn vorab mit Florian Valerius gesprochen, Buchhändler aus Trier, bei Instagram bekannt als @literarischernerd, dem die 50-Seiten-Challenge viel zu angestrengt erschien. Er hat unter anderem die – wie ich finde – großartige Idee des #Buddyreads vorgestellt. Unter diesem Hashtag verabreden sich auf Instagram Menschen zum gemeinsamen Lesen eines Buches. Sie teilen dabei das Buch in einzelne Lesepakete und verabreden sich dann zu ganz konkreten Zeiten zum parallelen Lesen, um sich hinterher über das Buch auszutauschen. Ein Buchclub im Netz und etwas verbindlicher als herkömmliche Gruppen, weil es ja konkrete Dates nicht nur zum Austausch, sondern auch zum Lesen gibt. Das möchte ich sehr gern einmal ausprobieren.
Beide empfehlen, das Smartphone beiseite zu legen, wenn man liest – am besten in einen anderen Raum. „Das Handy ist der Tod des Buches“ heißt es, und das steht ein wenig im Widerspruch zu den vielen tollen Aktionen, die es zum Beispiel auf Instagram gibt, um Bücher zu empfehlen, sie zu inszenieren und sich darüber auszutauschen.
Es steht auch im Widerspruch zu einem Trend, der Verleger*innen in den USA bereits schwärmen lässt: Auf TikTok werden unter #BookTok Bücher sehr individuell gefeiert – mit ersten Auswirkungen, die Molly Crawford, Lektorin aus London, so beschreibt:
BookTok’s influence on the book industry is one of the most hopeful things I’ve seen. TikTok should be seen as the modern distilling of the purest form of bookselling. I see it as the algorithmic nurturing of what would otherwise be organic growth.
‘After lockdown, things exploded’. How TikTok triggered a books revolution; Claire Amitstead, The Guardian, 8. 6.
Ein andere Tipp von mir für alle, die nicht selbst zum Lesen kommen: Literatur-Podcasts hören. Den von Christian Möller, „Das Lesen der Anderen“, hatte ich hier schon einmal empfohlen. Im der Juni-Folge mit dem Musiker (Erdmöbel) und Autoren Markus Berges bringt dieser gut auf den Punkt, warum es sich lohnt, selbst Bücher zu lesen und warum sie seiner Meinung nach Teil „des schönen Lebens“ seien:
Bücher bedeuten mir, dass ich – ganz anders als in Filmen oder Musik – einfach auf meinem Arsch sitzen kann und eine ganz andere Person an einem ganz anderen Ort der Welt sein kann.
Markus Berges im Podcast „Das Lesen der Anderen“
Weitere Podcasts
Im Juni konnte ich endlich wieder eine Folge meines Podcasts „Lob des Gehens“ veröffentlichen. Ich hatte mit der Journalistin Hella Kemper über ihre 770-km-Wanderung durch Deutschland gesprochen, die sie im Lockdown im April 2021 gemeinsam mit einer Freundin von Hamburg bis an den Ammersee geführt hat. Sie berichtet in der Folge auch über ihr Langzeitprojekt – eine Ostseeumrundung. Da ist sie inzwischen auf der nächsten Etappe unterwegs, jetzt allerdings mit dem Fahrrad. Wer Hella Kemper folgen möchte, kann sie auf Instagram begleiten, wo sie auch ihre Deutschlandreise dokumentiert hat.
Ich schreibe diese Monatsnotiz am fünften Jahrestag des Beginns des G20-Gipfels 2017 in Hamburg, den wohl niemand hier in der Stadt so schnell vergessen wird. Eine Gruppe von Studierenden des Masterstudiengangs Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg hat zu diesem Anlass die Podcastreihe „Inside G20 – Hamburg zwischen Gipfel und Abgrund“ herausgebracht, die das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven zu rekonstruieren versucht. Demonstrierende kommen genauso zu Wort wie Vertreter*innen der Polizei und Politik, Journalist*innen erinnern sich, Anwohner*innen schildern, wie sie die Ereignisse damals erlebt haben. Die Macher*innen versuchen, immer noch offene Fragen zu beantworten, unter anderem: Wie konnte es zu der Eskalation der Gewalt auf beiden Seiten kommen und wer trug die Verantwortung? Die einzelnen Interviews zeigen die unterschiedlichen Perspektiven auf die Ereignisse – Position zu beziehen bleibt den Zuhörenden überlassen. Ich finde den Podcast sehr gelungen im Arrangement der vielen Stimmen, die in den einzelnen Folgen immer wiederkehrend die Ereignisse rekonstruieren und individuell bewerten. Sehr wichtig, dass hier noch einmal eine intensive, tiefere Auseinandersetzung geschieht, als sie die vielen Rückblicke erwarten lassen, die heute zu lesen sein werden. Vermisst habe ich im Podcast nur das Geräusch von Hubschraubern, die tagelang über die Stadt kreisten – das, was viele, auch ich, als erstes erinnern, wenn sie an die Tage im Juli zurückdenken
Veranstaltungen
Mitte Juni war ich eingeladen, im „Zwischenraum“-Salon“ in der Hadley’s Bar in Hamburg mit Agata Klaus von der Deutschen Nationalstiftung und Klara Stumpf von der Toepfer Stiftung über die Bedeutung von Wissenschaftskommunikation für die Stärkung der Demokratie in unserer Gesellschaft zu diskutieren. Der Salon hat mir auch als Format sehr gut gefallen und ist selbst gleich ein gutes Beispiel, wie ich mir gelungene Kommunikation rund um Wissenschaft vorstelle: niedrigschwellig, dialogorientiert, ansetzend bei den Fragen, die die Menschen mitbringen. Offensichtlich hat sich bereits eine kleine Community von Menschen im Hadley’s etabliert, die im „Zwischenraum“ immer wieder zu Gast sind, offen für die verschiedenen Themen und für den Austausch. Die Reihe wird zum Herbst fortgesetzt und ich werde sicher auch als Gast noch mal den ein oder anderen Salon besuchen. Mir gefällt auch der Newletter, den das Hadley’s herausbringt. Er bietet viele Inspirationen und Hinweise für Kultur und politische Diskussionen in der Stadt und zeigt damit sehr überzeugend, wie diese Bar sich versteht.
Bei Mann beißt Hund haben wir für Westermann einen Online-Talk zum Digitaltag unterstützt. Die Politologin und Science-Fiction-Expertin Isabella Hermann zeigt darin, wie in Science-Fiction Bildung und Lernen verhandelt wird und gibt viele Beispiele aus Film und Literatur – sehr inspirierend!
Musik
Im Juni ist das neue Album von „Das Paradies“ erschienen, ein Ein-Mann-Projekt des Leipziger Musikers Florian Sievers. „Eine äußerst faszinierende Mischung aus The Whitest Boy Alive und der Hamburger Schule. Auch Ähnlichkeiten zu Die Höchste Eisenbahn sind sicher nicht von der Hand zu weisen“, so heißt es im Blog „Herzmucke“ – eine Einschätzung, der ich zustimme. Kurz nach dem Release des Albums war Paradies im Knust in Hamburg zu Gast. Wegen einer sehr wichtigen Geburtstagsfeier eine Woche später habe ich mich im letzten Moment allerdings aus Angst vor einer Ansteckung doch nicht in den gut gefüllten kleinen Club getraut. Stattdessen haben wir ein Getränk direkt vor dem Eingang genommen und konnten quasi als Zaungäste bei offener Tür mithören. Am Ende war das eine gute Entscheidung: Paradies live schien etwas weniger gut, als ich erwartet hatte, und wir hatten dennoch einen sehr schönen Sommerabend draußen mit Musik. Ganz neue Erlebnisse in diesen Corona-Zeiten.