„Die persönliche Note ist ein ganz wichtiger Aspekt der Podcastwelt. Ich mag Stimmen und viele der Stimmen in den 30 bis 40 Podcasts, die ich regelmäßig höre, würde ich keinesfalls missen wollen. Oder was wäre die morgendliche Busfahrt zur Arbeit ohne den Explikator? Undenkbar!“ 

Melanie Bartos, bei Wissenschaftspodcasts

Wenn es über Podcasts gelingt, eine enge Bindung zum Publikum aufzubauen, so hat das vor allem mit dem Faktor Persönlichkeit zu tun. Tim Pritlove bezeichnet sie in einem Blogbeitrag als das „persönlichste Medium überhaupt“, sowohl in der Produktion als auch in der Rezeption. Die persönliche Note ist wohl auch eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale von Podcasts gegenüber herkömmlichen Hörfunksendungen, in denen den Akteur*innen durch eng gesteckte Formatvorgaben und Konventionen in der Regel wenig Raum bleibt, sich selbst zu entfalten. Sich im Podcast von seiner persönlichen Seite zu zeigen, schafft aber noch mehr als eine enge Beziehung zum Publikum: Es prägt auch die Wahrnehmung und den Blick auf die verhandelten Themen und schafft für das Publikum so oftmals neue und spannende Perspektiven.

Beispiel „Die Anachronistin“

Wer das am Beispiel nacherleben möchte, dem lege ich den Podcast „die Anachronistin“ ans Herz. Ich habe alle im Sommer 2017 verfügbaren Folgen im Urlaub gehört, meistens gleich mehrere hintereinander. Ich war fasziniert und fühlte mich von der Autorin, Nora Hespers, in die Geschichte ihres Großvaters, ihres Vaters – in ihre Geschichte – hineingezogen.

„Die Anachronistin“ ist ursprünglich als Blogprojekt gestartet, mit dem Nora die Geschichte ihres Großvaters nachzeichnet, eines politischen Aktivisten, der sich aus dem Exil im Kampf gegen die Nationalsozialisten engagierte, eine Zeitschrift herausbrachte und wegen „demokratischer Bestrebungen“ als „Terrorist“ in Berlin hingerichtet wurde. Die Autorin berichtet in ihrem Vortrag bei der re:pulica 2017 über ihre Motivation, dieses aufwändige Projekt zu starten.

Nora zeigt ihre persönliche Betroffenheit, die neben der familiären Bindung vor allem durch aktuelle politische Entwicklungen geprägt ist. Sie zeichnet ihre eigenen Recherche nach, ihre Irrungen, Aha-Erlebnisse und Erfolge, ihre Grenzen, die sie als Laien-Historikerin zu erkennen glaubt, vor allem aber ihre persönlichen Gedanken und Empfindungen bei der Suche nach Dokumenten, Zeitzeugen und Details aus dem Leben ihres Großvaters. Dabei stellt sie immer wieder Bezüge zu ihrer aktuellen persönlichen, aber auch zu unserer gegenwärtigen politischen Situation her: Sie verweist auf Analogien zu den Entwicklungen in den USA in der Ära Trump, macht deutlich, wie sehr uns die Verfolgung von Journalisten in der Türkei betreffen sollte und berichtet, wie die Pegida-Bewegung zu ihrem persönlichen Auslöser wurde, dieses Projekt zu starten. Sie lässt uns teilhaben an ihrem Staunen und schafft nicht zuletzt durch ihre ironischen und humvorvollen Einschübe einen guten Zugang zu dem bedeutungsschweren Thema und der an sich sehr traurigen Geschichte. Ich hoffe sehr, dass viele Lehrkräfte auf die Idee kommen, diesen Podcast im Unterricht einzusetzen, wenn sie das Thema Widerstand im Dritten Reich behandeln oder wenn sie mit den Schüler*innen über den aktuellen Rechtsextremismus in unserem Land sprechen.

Aufarbeitung der Gegenwart

Als ich mich in meinem Studium einmal mit Literatur von Widerstandskämpfern beschäftigt habe, haben mir die Bücher und Schriften die Ereignisse meist als meist männlich geprägte Heldenerzählungen vermittelt und mich auf diese Weise nur bedingt erreicht. Nora hat mir diese Geschichte neu erzählt. Sie berichtet auch von den Frauen im Leben ihres Großvaters, von den politischen Aktivistinnen genau wie von ihrer eher unpolitischen Großmutter. Sie erzählt vom Alltag im Exil. Sie lässt ihren Vater zu Wort kommen, der eine mindestens genauso spannende Figur in der gesamten Erzählung wird. Sie bezieht uns in die Trauer um ihren Großvater ein. Und sie erlaubt Einblicke, was diese Geschichte für sie persönlich bedeutet, warum sie sich zur Aufgabe, zur Erkenntnis, aber auch immer wieder zu einer Auseinandersetzung mit ihrer Gegenwart entwickelt hat.

Erst als ihr Blog schon gestartet war, beschloss die Autorin, zusätzlich auch einen Podcast daraus zu produzieren. Im Gespräch mit Sandro Schröer berichtet sie über den Mehrwert, den sie unter anderem darin sieht, Stimmungen vermitteln, ihrem Thema die Schwere nehmen und die Persönlichkeit ihres Vaters viel besser zum Vorschein bringen zu können:

„Schrift ist zweidimensional, ein Podcast zieht dich in eine Welt.“ Nora Hespers

Spannung durch verschiedene Persönlichkeiten

Nora gibt gemeinsam mit Rita Molzberger noch einen weiteren Podcast heraus. Es ist ein wenig so, wie eine Bekannte zu treffen, ihre Stimme darin wiederzuhören. Auch bei „Was denkst du denn“? spielt ihre Persönlichkeit eine wichtige, inhaltsprägende Rolle, die sich hier im Zusammenspiel und gleichzeitig im Gegensatz zu ihrer Co-Autorin entfaltet. Nora unterhält sich als Journalistin mit der Philosophin Rita über Alltagsphänomene wie die „demokratische Jogginghose“ genauso über philosophische Grundsatzfragen nach Treue und Glück. Während Nora sich den Themen zunächst über ihre eigenen Eindrücke und Erlebnisse nähert und Geschichten dazu erzählt, bereichert Rita das Gespräch meistens von der abstrakten Meta-Ebene und mit philosophischem Gedankengut. Die Spannung entsteht daraus, dass beide offensichtlich zwar ähnliche Interessen und grundsätzliche Haltungen teilen, oftmals aber einen doch unterschiedlichen Umgang damit pflegen. Sehr deutlich wird, wie dieser Podcast von den zwei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten lebt, als ein dritter, der Philosoph und „Digital Pioneer“ Matthias Burchhardt dazukommt, und die drei sich in Folge 21 über Digitalisierung unterhalten.

Persönlichkeit braucht Authentizität

Die Person als Stilmittel im Podcast funktioniert dann, wenn sie authentisch auftritt –  doch muss das nicht automatisch zum Erfolg bei einem großen Publikum führen. Einige Podcasts habe ich ein- oder zweimal gehört, dann aber nicht weiter verfolgt, weil ich die Autoren nicht mochte – obwohl mich das Thema interessiert hat. Was den großen Gewinn eines Podcasts ausmacht, kann also auch zum Hindernis werden, wenn die Chemie nicht stimmt: eine intensive Nähe, die im besten Fall entsteht, wenn ich intensiv eintauche in das Erzählte, vom Kopfhörer abgeschirmt von sonstigen Geräuschen. Den Machern des Podcasts „Lage der Nation“, die den bewusst persönlichen Kommentar der politischen Ereignisse zum Konzept gemacht haben, ist klar, worauf sie sich damit eingelassen haben, wie einer der beiden, Philipp Banse, in einem Deutschlandfunk-Beitrag erklärt:

 „Das führt dazu, dass manche Leute das komplett unhörbar finden, obwohl sie vielleicht das inhaltlich durchaus interessant finden. Aber die hassen halt die Leute, die das machen. Umgekehrt ist es so, dass manche den Inhalt manchmal auch nicht so toll finden, aber das hören, weil sie die Leute so mögen. Dieser Faktor spielt bei Podcasts eine viel größere Rolle als bei klassisch produzierten Radiosendungen.“

Auch die größeren Podcast-Produktionen der öffentlich-rechtlichen Hörfunk-Sender arbeiten intensiver mit dem Faktor Persönlichkeit als die Sendungen aus dem regelmäßigen Programm. Das ist dann sehr spannend, wenn zum Beispiel in einem NDR-Info-Podcast die beiden Journalisten Benedict Strunz und Philipp Eckstein über ihre Recherchen zu den Paradise-Papers berichten und dabei einen sehr persönlichen Einblick in ihre Arbeit gewähren. Es funktioniert dagegen nicht, wenn die persönlichen Passagen gekünstelt daherkommen, weil sich ein Autor im Zwiegespräch ohne ironische Brechung unwissend gibt, um dem Gegenüber Stichworte für den weiteren Verlauf der Geschichte zu geben. Zu hören in der aufwändig produzierten Podcastserie Cybercrime des Hessischen Rundfunks, die damit die Spannung leider immer etwas verpuffen lässt und mich als Hörerin auf Distanz bringt.

Marke statt Persönlichkeit?

Persönlichkeit schafft nicht nur einen anderen Blick auf das Erzählte, sie schafft auch Vertrauen – wichtiger Pluspunkt in einer Zeit, in der das Publikum nach Orientierung sucht und sich in der Flut der Angebote oftmals überfordert fühlt. Interessant wird dieser Aspekt, wenn man sich die im letzten Jahr erschienenen Podcasts einiger Medienhäuser ansieht. Vor allem die drei Podcasts der ZEIT waren von Anfang an dadurch erfolgreich, dass sie als Marke bereits eine starke Beziehung zu einem breiten Publikum einbringen konnten.

Dennoch fand ich einige diese Podcasts eher uninteressant, wenn darin Sprecher*innen mit vorformulierten Fragen kein wirkliches Gespräch mit den Gästen entwickeln konnten. Vielleicht wollten die Herausgeber hier bewusst die Marke im Vordergrund halten und keine starke Persönlichkeit dazu in Konkurrenz setzen? Das hielte ich für eine vertane Chance: Es könnte die Marke im Gegenteil stärken, einer starken Persönlichkeit in einem Podcast einen eigenen Raum zu verschaffen – vorausgesetzt natürlich, dass diese Person zu der Marke passt. Dann gelingt, was t3n-Chefredakteur Luca Caracciolo in seinem Vortrag bei der Podcast-Konferenz „Subscribe“ über den Podcast des Magazins „Filterblase“ beschreibt, nämlich die Stärkung der Marke durch Persönlichkeit:

„Der persönliche Zugang erhöht das Zugehörigkeitsgefühl der Hörer zur Marke.“
Luca Caracciolo (Minute 17)

Offenbar ist die Stimme in der Lage, eine sehr persönliche Bindung herzustellen, die sich über einen Text vermutlich nicht entwickeln würde. Dass das für beide Seiten, also Produzent*innen wie Hörer*innen, gilt, stellt auch Tim Pritlove in seinem Text heraus:

„Es gibt so eine merkwürdige Verbundenheit auf beiden Seiten obwohl man eigentlich nichts voneinander weiß, aber wenn man sich trifft und ein paar Worte wechselt fühlt es sich für beide Seiten an, als würde man sich seit Jahren kennen.“