„Why women still can’t have it all“: Vor genau einem Jahr und vier Tagen schrieb die Amerikanerin Anne Slaughter dazu einen viel beachteten Artikel in „The Atlantic“. Sie hatte ihren Job als Chefin des Planungsstabes von Außenministerin Hillary Clinton geschmissen, weil sie mehr Zeit brauchte, um für ihre beiden Söhne im Teenie-Alter da zu sein. Für diese Entscheidung und ihren Artikel steckte sie viel Zustimmung, aber auch heftige Kritik von Feministinnen ein. Zum Jahrestag erscheint im Online-Magazin „Saalzwei“ unter der Frage: „Can Women have it all“ eine Übersicht mit Statements internationaler Frauen und Männer. „Ja“, „nein“, unter bestimmten Voraussetzungen, lauten die Antworten. Die Diskussion ist gut und wichtig, das, was Anne Slaughter schreibt, hat eine notwendige Debatte angestoßen. Aber ich finde die Frage falsch: „Can Women have it all?“ Aus zwei Gründen: Warum fragen sich das nur die Frauen? Und warum muss es eigentlich gleich alles sein?
Doppelbelastung – ein Thema nur für Frauen?
Es liegt für mich ein Denkfehler darin, wenn wir Frauen versuchen, diese Frage für uns alleine zu lösen. Warum ist die so genannte Doppelbelastung ein Thema, das fast ausschließlich auf Frauen bezogen wird? Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann gelingen, wenn Männer genau wie Frauen Verantwortung in der Familie übernehmen, unabhängig davon, wie sie beruflich jeweils eingespannt sind. Es gibt durchaus Männer, und es werden immer mehr, die genau wie Frauen beides wollen. Männer kommen im Job oftmals leichter nach oben. Sie haben es aber schwerer als Frauen, verständlich zu machen, dass sie auch für ihre Familie da sein wollen. Wie oft werden Männern Teilzeitjobs verwehrt. Mich stört es, dass die Frage auf Frauen reduziert wird, weil darin zugleich ein Defizit anklingt. Dabei liegt es nicht an den Frauen, dass es so schwierig ist, Beruf und Familie parallel zu leben, sondern an den Jobs, die dafür einfach nicht gestrickt sind – umso mehr, wenn wir über Führungspositionen sprechen. Und es liegt daran, dass das Leben mit Kindern hohe Ansprüche stellt. Beides betrifft Frauen wie Männer. Fragen wir also besser: (How) can men and women have it all?“
Die Utopie des „have it all“
„Can women have it all“: Geht es nicht auch eine Nummer kleiner? Müssen Frauen immer gleich „alles“ leisten, um beides haben zu dürfen? Es mag eine sprachliche Feinheit sein, aber ich bleibe daran hängen. Weil sie eine Utopie offenbart. Frauen wie Männer, die sich dafür entscheiden, ein erfülltes Berufsleben mit einem ebenso erfüllten Familienleben zu vereinbaren, müssen Abschied nehmen. Vom Anspruch, dass beides jederzeit und gleichzeitig befriedigend gelebt werden kann. In bestimmten Phasen müssen Männer wie Frauen vielleicht auch von einigen Jobs die Finger lassen. Chefin des Planungsstabs einer US-Außenministerin zu sein, ist vermutlich ein Posten, den Männer wie Frauen auslassen sollten, wenn sie Kinder haben, die ihre Eltern gerade brauchen. Das Nebeneinander von Job und Familie ist ein täglicher Kampf um Prioritäten. Wer beruflich engagiert ist und sich Zeit für seine Familie lässt, hat immer wieder aufs Neue zu entscheiden, was gerade das Wichtigste ist. Das „Ja“ zum Job heißt an manchen Tagen das „Nein“ zur Familie – und umgekehrt. Mal ganz abgesehen davon, dass es neben Job und Familie ja auch noch weiteres gibt, Freunde zum Beispiel. Sich einen Job zu suchen, der eigentlich ein permanentes „Ja“ einfordert, ist in dieser Hinsicht selbstmörderisch. Ich möchte weder Frauen noch Männern den Abzug aus interessanten Jobs verordnen, wenn sie Familie haben. Und sicher sollten wir gemeinsam dafür kämpfen, dass unsere Arbeitswelt familienfreundlicher wird. Aber das wird vielleicht auch in Zukunft niemals für alle Positionen erreichbar sein. „Alles ist möglich“ ist bei diesem Thema für mich eine Illusion, der insbesondere Frauen erliegen. Sich von ihr zu verabschieden, ist hilfreich. Es macht den Blick dafür frei, dass der richtige Partner und der richtige Job schon mal sehr sehr wichtig sind. Wer hier die richtigen Entscheidungen trifft, hat einiges getan, damit überhaupt schon mal eine ganze Menge gehen kann.