Ein Buch über die gefühlte Unmöglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren
Frauen und Männer, die mit Kindern leben und dabei berufstätig sind, wird es nicht fremd sein: Dieses Gefühl, manchmal jenseits des eigenen Limits zu leben, im alltäglichen Wahnsinn zwischen Job und Familie. Die beiden Journalistinnen Britta Sembach und Susanne Garsoffky haben irgendwann „Stop“ gesagt. Sie sind zwischenzeitlich ausgestiegen aus ihrem festen Beruf, waren sie sich doch zunehmend vorgekommen wie im Hamsterrad. Die Absage an ihren Job und das neue Leben als Hausfrau und Mutter erschien ihnen aber keineswegs als reine Befreiung. Denn ihrem ursprünglichen Lebensentwurf entsprach es nicht, die Arbeit an den Nagel zu hängen, um für die Kinder da zu sein und den Haushalt zu managen. Und als gestandene Journalistinnen hatten sie offensichtlich auch mit Imageproblemen zu kämpfen. Desillusioniert, aber keineswegs frustriert, beschlossen sie, ihre persönlichen Erfahrungen, allgemeinen Beobachtungen und gesellschaftlichen Analysen aufzuschreiben.

Wenn uns jetzt jemand fragt: Und? Was machst du so? Können wir sagen: Wir schreiben ein Buch. Das klingt gut und wichtig – und nach Arbeit. Nach richtiger, echter, bezahlter Arbeit.“ (S.15)

Vereinbarkeit nur bei Selbstaufgabe

Die grundsätzliche These von Britta Sembach und Susanne Garsoffky: Die angebliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Politik und Gesellschaft vor allem den Frauen als Möglichkeit und zugleich Herausforderung mit auf dem Weg geben, ist eine Lüge. Eine Lüge, die so selbstverständlich wie penetrant kommuniziert werde, so dass keiner sich traue, sie zu hinterfragen oder gar aufzudecken. In unserer Gesellschaft lassen sich die Sorge um Kinder und Haushalt und Arbeit nur dann vereinbaren, wenn mindestens eine/r sich bis zur Selbstaufgabe opfert – so das Fazit der Autorinnen nach Jahren des gelebten Vereinbarkeitsversuchs. Ich glaube auch, dass es einige Berufe gibt, die als Mutter oder Vater nicht zu managen sind, wenn man seine Kinder nicht komplett in andere Hände geben möchte – und habe dazu hier schon geschrieben. Aber ich glaube nicht, dass es  eine Lösung ist, in klassische Rollenverteilungen zurückzufallen – auch nicht zeitweise.  Was nicht bedeutet, dass ich den Wunsch danach und auch die Entscheidung dafür unter den aktuellen Rahmenbedingungen auch respektieren kann.

Schon der Titel des Buches sei auf große Zustimmung gestoßen, berichten die beiden. Denn offenbar teilen viele die Erfahrungen und Einschätzungen der Journalistinnen – nur aussprechen möchte es niemand. Bevor man kapituliert, lieber noch mal die Zähne zusammen beißen, andere bekommen es ja auch hin. Das sind dann die so genannten Powerfrauen, für die die Autorinnen eher Mitleid als Bewunderung zeigen. Vielleicht wäre es gut gewesen, hier das Klischee hinter sich zu lassen und genauer hinzusehen, was bei den Frauen anders ist, denen der Spagat einigermaßen gelingt. Doch dazu später.

Hilflosigkeit und Schizophrenie der Familienpolitik

Das Buch ist gut, wenn es dem nachspürt, was in unserer Gesellschaft schief läuft. Es offenbart die Hilflosigkeit einer Familienpolitik, die seit Jahren auf der Stelle tritt, wenn es darum geht, die gesellschaftliche Realität abzubilden. Sehr treffend zeigen die Autorinnen die Schizophrenie einer Politik, die es über das Ehegattensplitting steuerlich belohnt, wenn Ehefrauen zuhause bleiben und nicht arbeiten, mit dem neuen Unterhaltsrecht aber genau von diesen Frauen erwartet, nach einer Trennung schnell wieder Arbeit zu finden.

Mit fünf Lügen zum Mythos Vereinbarkeit

Auch bei den weiteren Analysen, die das Buch als „Lüge Nummer eins bis Lüge Nummer fünf“ präsentiert, zeigt sich, dass die Autorinnen tief eingestiegen sind in ihre Materie. Immer wieder liefern sie Daten, Zahlen und Fakten, mit denen sie aktuelle Trends wie „Familienfreundlichkeit“ überzeugend hinterfragen. Sie entlarven die Fallstricke der Teilzeitarbeit, mögen noch nicht so recht an den „neuen Mann“ glauben und zeigen sich skeptisch gegenüber den so genannten „Powerfrauen“.

Bei den letzten beiden Punkten wird es dann doch einseitig. Neben den vielen konkreten Beispielen, die zeigen, dass die Frauen am Ende in irgendeiner Weise immer auf der Strecke bleiben, wäre es doch hoch interessant gewesen zu sehen, was bei denen anders läuft, die Familie und Beruf leben können. Und dass nicht nur, weil sie sich durch eine höhere Leidensfähigkeit auszeichnen. Denn es gibt Frauen und Männer, denen das gelingt. So wie dieses Beispiel eines Paars, beide selbstständig (könnte übrigens ein Erfolgsrezept sein), erzählt aus der Sicht der Frau und des Mannes. Auch wenn es sicher Ausnahmen sind und nicht jeder ihr Modell für sich übernehmen möchte – im Sinne einer „Best Practice“ hätten sie dem Buch sehr gut getan. Schließlich ist es ja auch Anliegen der Autorinnen, Wege zu entdecken, mit denen Frauen und Männer zu so etwas wie einem Gleichgewicht von Beruf und Familie finden, wie immer das für sie persönlich aussehen mag.

Statt sich aber an konkreten Vorbildern zu orientieren, desillusionieren Britta Sembach und Susanne Garsoffky auch noch die, die glauben, woanders sei alles besser. Selbst das skandinavische Erfolgsmodell muss Federn lassen. „Schweden kann nicht unser Vorbild sein“ – heißt es. (S.204)

Wie wir leben wollen

Unter diesem schönen Tocotronic-Titel wird es dann im abschließenden Kapitel  konstruktiv. Hier listen die Autorinnen auf, was sich ändern müsste, damit Karriere und Familie unter einen zu Hut bringen sind. Dabei nennen sie einige gute Ansätze, von der Abschaffung der „Zwangsverrentung“, Zeitwertkonten für spätere Phasen der Aus- und Pflegezeiten bis hin zur Kindergrundsicherung – viel Stoff für Diskussionen. Und doch bleiben sie an dieser wichtigen Stelle für mich eher diffus, wenn sie mit ihren Forderungen „die Arbeitgeber“ oder „die Familienpolitik“ adressieren. So für die „späte Karriere“, die zur Regel und nicht zur Ausnahme werden solle, denn niemandem sei gedient, wenn Menschen in der Rush-Hour des Lebens (…) zerrieben werden. Das stimmt zwar. Und vermutlich haben die Autorinnen Recht, wenn sie sagen, dass Frauen in ihrer Elternzeit Kompetenzen erwerben, die für die Arbeitgeber wertvoll sind. Aber das ist nicht zwangsläufig so und es trifft eben nicht pauschal zu, „dass Menschen, die Familie haben, in der Tat sehr gut organisiert sind und einen untrüglichen Blick fürs Wesentliche haben“. (S.85)

Diese Verallgemeinerungen helfen aus meiner Sicht nicht wirklich weiter. Und – die Frage muss erlaubt sein: Reicht das, um nach drei oder fünf Jahren Auszeit zu sagen, „hier bin ich wieder“? Offensichtlich nicht, sonst wären Wiedereinsteigerinnen gesuchte Fach- und Führungskräfte. Vielleicht stimmt es auch gar nicht, dass man nach ein paar Jahren Pause einfach so wieder weitermachen kann? Was müsste geschehen, damit die Frauen den Anschluss finden – und den Aufwand dafür nicht das Unternehmen tragen muss, so dass deren Entscheidung für die Berufsrückkehrerinnen leichter fiele? Was müssten vielleicht auch die Frauen während ihrer Berufspause unternehmen, um den Anschluss nicht zu verlieren?

Impulse müssen aus den Familien kommen

Dass die Appelle der Autorinnen sich immer wieder an „Arbeitgeber“ und „Familienpolitik“ richten, überrascht mich, haben sie doch ausgiebig und überzeugend beschrieben, dass diese weder die Phantasie und Durchsetzungskraft haben und viel zu langsam reagieren (Politik), noch die Notwendigkeit sehen, irgendetwas zu ändern (Unternehmen). Warum sollte das in Zukunft anders sein? Zwar engagiert sich Familienministerin Manuela Schwesig aktuell stark für sinnvolle Reformen wie Elterngeld Plus, den Qualitätsausbau in den Kitas und die Familienarbeitszeit, aber auch ihr sind die Hände gebunden, wenn es um Länderentscheidungen geht bzw. ein Konsens in der Koalition gefunden werden muss.

Ich möchte weder Politik noch Unternehmen aus der Pflicht entlassen, aber ich glaube, dass die Impulse für Veränderungen aus den Familien kommen müssen. Es könnte sich etwas ändern, wenn das passieren würde, was in diesem Buch zwar thematisiert wird, aber noch viel zu kurz kommt. Wenn Eltern ihre Erwartungen an die Arbeitgeber formulieren – und zwar vor allem auch die Männer. Aktuell starten viele zu oft gar nicht erst den Versuch: „In meiner Position ist das undenkbar“. Da ist diese schöne Geschichte, von der die Autorinnen im Buch berichten: Ein erfolgreicher Kinderarzt machte den Schritt, er forderte, in Teilzeit arbeiten zu wollen – eigentlich in seiner Position unmöglich. Und Wunder: Es hat funktioniert. Mir ist klar, dass sich nicht alle Angestellten diesen Schritt leisten können, aber doch weitaus mehr als sie ihn bislang wagen.

Berufstätigkeit und Familie lassen sich dann am besten zusammen leben, wenn Männer und Frauen ihre Aufgaben gleichberechtigt teilen – und zwar die der finanziellen Absicherung genau wie die der Sorge um Kinder, um Eltern und um den Haushalt. Das ist meine Erfahrung und das sehen wohl auch grundsätzlich die beiden Journalistinnen so. Dabei geht es nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch um Flexibilität. Ein Mann, dem man nicht erst erklären muss, was zu tun ist, wenn das Kind krank ist, kommt gut alleine klar, wenn sie auf Geschäftsreise geht. Er seinerseits kann mit viel mehr Rückhalt Forderungen beim Arbeitgeber stellen, wenn er weiß, da ist noch eine zweite, die im Notfall für das Familieneinkommen sorgen kann. Deshalb widerspreche ich den Autorinnen, wenn sie meinen, dass es vollkommen in Ordnung sei, dass ein Großteil der Frauen es nach wie vor schätze, „wenn der Mann ein sicheres Gehalt nach Hause bringt und zumindest für einen großen Teil für den Unterhalt der Familie aufkommt“. Man kann es ihnen nicht zum Vorwurf machen, sagen die beiden. Sie müssen wissen, worauf sie sich einlassen, sage ich.

Wenn sich etwas ändern soll, dann sollten wir meiner Meinung nach hier anfangen

  1. Augen auf bei der Partnerwahl – es gibt Männer, mit denen die Entscheidung für Kinder absehbar zum Projekt der Frau wird – diese sollten überlegen, ob sie das wollen und leisten können.
  2. Augen auf bei der Wahl des Arbeitgebers: In manchen Unternehmen/Institutionen kämpfen Familien gegen Windmühlen. Wer darauf keine Lust hat, sollte von Anfang an einen großen Bogen um solche Arbeitgeber machen.
  3. Väter und Mütter müssen gemeinsam den Aufstand proben – so lange Männer nur verständnisvoll nicken und die Empörung den Frauen überlassen, wird sich nichts ändern. (an dieser Stelle: Warum hat an diesem Buch eigentlich kein Mann mitgeschrieben?)
  4. Mehr Anerkennung für die, die Beruf und Familie erfüllt leben, vor allem für Väter (die nach Auskünften von betroffenen Männern tatsächlich weder gefragt werden, wie sie ihre Doppelrolle denn so hinbekommen, noch dafür bewundert werden, wenn sie ihnen erfolgreich gelingt.)

Wir Eltern sollten dieses Buch lesen, die angesprochenen Modelle diskutieren, weiterdenken – und uns als Paar eine Meinung dazu bilden. Deshalb empfehle ich „Die-Alles-ist-Möglich-Lüge“ dringend zur gemeinsamen Lektüre. Ich befürchte ein wenig, dass es ein Frauen-Ratgeber werden wird, was ich sehr schade fände.

Weitere Berichte/Rezensionen gibt es zum Beispiel bei Deutschlandradio Kultur und Radio Bremen. Wer mit den Autorinnen diskutieren möchte, kann sie in einem Webinar der Zeitschrift Nido am 16.10. treffen.

Disclaimer: Eine der beiden Autorinnen ist meine Freundin, auf deren erstes Buchprojekt ich sehr gespannt war. Beide Autorinnen haben meine Anerkennung – nicht nur für ihr Buch, sondern auch für ihre persönliche Entscheidung, ihren Beruf zumindest zeitweise aufzugeben.

SUSANNE GARSOFFKY , BRITTA SEMBACH
Die Alles ist möglich-Lüge. Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind. Pantheon Verlag 2014, 256 Seiten, auch als E-Book erhältlich.