Die Frage „Wer werde ich gewesen sein?“ kann Ausgangspunkt für ungewöhnliche Gespräche sein – wenn sie konsequent verfolgt wird.
Schon der Titel verweist auf das Spannungsmoment dieses Podcasts: Ein „Nachruf auf mich“, das ist paradox. Denn üblicherweise wäre das sprechende Subjekt, auf das sich „mich“ beziehen könnte, schon verstorben, wenn der Rückblick geschrieben wird. Ich kann also über meinen eigenen Nachruf gar nicht sprechen. Gleichzeitig ist es ein offenes Geheimnis, dass für betagte, prominente Menschen die Nachrufe in den Redaktionen oftmals schon fertig „in den Schubladen“ liegen.
Als ich vor längerer Zeit nach dem Tod von Frank Schirrmacher hier im Blog schon einmal über Nachrufe geschrieben habe, hatte ich mir damals vorgestellt, wie es wäre, mit dem eigenen Nachruf schon zu Lebzeiten konfrontiert zu werden: „Für die, die es ertragen, die das Thema Tod nicht tabuisieren, könnte es aber ein interessantes Experiment sein“.
Genau dieses Experiment startet nun der Podcast:
„Wäre es für die Promis nicht cool, wenn sie ihren eigenen Nachruf selbst gestalten und korrigieren könnten?“
Jule Lobo, Shownotes des Trailers
Doris Hammerschmidt und Frank Busch von Medienproduktion München sind für Konzept und Redaktion verantwortlich und haben und für noch lebende Prominenten fiktive Nachrufe produziert. Sie lassen darin das öffentliche Leben der Ausgewählten Revue passieren, als seien sie verstorben. Jule Lobo führt die Gespräche mit den Ausgewählten – die zum Glück noch leben. Als Podcasterin ist sie durch den Deutschrap-Podcast „Schacht & Wasabi“ bei Puls vom Bayerischen Rundfunk bekannt sowie durch ihre „Kohl-Kids“-Gespräche mit Friederike Schicht über die Wiedervereinigung.
Ausgewählte Gäste für die Konfrontation mit dem „Nachruf auf mich“
In „Nachruf auf mich“ konfrontiert sie ihre Gäste mit eben diesen Rückblicken auf deren Wirken und Sein. Zuschreibungen, die sich aus dem zusammensetzen, was bekannt ist von den „Vestorbenen“. Die Gäst*innen haben nun die Möglichkeit, sich ihr eigenes Leben wieder selbst anzueignen.
In den ersten vier Episoden spricht Jule Lobo mit dem Rapper Marteria, dem Filmproduzenten und Moderatoren Hubertus Meyer-Burckhardt, der Schauspielerin, Künstlerin und Sprecherin Anna Thalbach und mit dem Musiker Frank Zander. Es wird zunächst nicht ganz deutlich, ob ein gewisses Alter oder eine ernsthaftere Erkrankung Voraussetzung sind, um für den Podcast eingeladen zu werden. Anna Thalbach wäre die Ausnahme. Marteria etwa spricht von seiner Nahtoderfahrung nach Nierenversagen, Hubertus Meyer-Burckhardt von seiner Krebserkrankung, Frank Zander von seinem Alter.
Die Auswahl ist zumindest schon mal ungewöhnlich, das sind erfreulicherweise nicht die Menschen, die wir in diversen anderen Podcasts schon hören konnten. Die Gespräche dagegen ließen sich ohne größere Probleme in diverse andere Interviewformate übertragen. Denn in den ersten vier Folgen vernachlässigt der Podcast seine eigene tolle Idee. Die Auseinandersetzung mit Inhalt und Form des eigenen Nachrufs fällt sehr kurz aus bzw. findet gar nicht statt. Stattdessen entwickeln sich da über lange Strecken die üblichen Gespräche, in denen Prominente ihr Leben nacherzählen, sich an Höhen und Tiefen erinnern und ihre eigene Entwicklung nachzeichnen: Wie bin ich zu der oder dem geworden, der oder die ich heute bin? Das führt wiederholt zu der wenig originellen Beobachtung der älteren Gäste, dass die Zeiten sich geändert haben. Wie schade, dass die Frage „Wer werde ich einmal gewesen sein“ nur am Ende und eher kurz angerissen wird.
Bei Anna Thalbach jedoch entsteht eine konkrete Vision daraus: Sie wünscht sich eine Schranke an ihrem Grab, die ihr Lachen auslöst, wenn man sie passiert. Eine klare, schöne Vorstellung davon, was bleiben soll.
Neue Qualität im Gespräch mit der früheren Siemens-Vorständin
Viel tiefer steigt Jule Lobo erst mit ihrer Gästin der fünften Episode ein. Die Ex-Siemens-Vorständin Janina Kugel widerspricht ihrem Nachruf, der ausgemalt hatte, wie sie wohl im Himmel ankommen würde. Denn sie glaubt nicht an Gott. Sie berichtet über ihre Erfahrungen mit dem Tod in ihrem Leben – und denkt schon jetzt darüber nach, wer sie einmal gewesen sein will. Dass das Gespräch andere Tiefen erreicht, ist der Gästin, aber auch der Gesprächsführung zu danken: Anders als in den ersten Episoden macht Jule Lobo einen klaren, expliziten Schnitt nach dem ersten Teil, in dem es um Leben und Arbeit der erfolgreichen Managerin geht. Sie führt dann zu den besonderen Themen des Podcasts: Was macht der Gedanke an den Tod mit meinem Leben? Was wird bleiben, wenn ich einmal nicht mehr bin? Mir gefällt auch, dass hier die Frage noch einmal neu gestellt wird für den Zeitpunkt, in dem Kinder in das eigene Leben treten.
Der Blick auf das „nach mir“ eignet sich ja auch nur zu gut, um tiefer einzusteigen: Entspricht das, was ich da gerade in meinem eigenen Nachruf gehört habe, dem Bild, das ich hinterlassen möchte? Das kann eine philosophische Dimension eröffnen, wenn eben die Frage des „Wer will ich gewesen sein?“ dazu führt, das eigene Leben genau daran auszurichten.
Schon bevor der Podcast herauskam, hatte der Publizist Harald Welzer, ebenfalls nach einer Nahtoderfahrung, ein neues Buch veröffentlicht, das mit sehr ähnlichem Titel daherkommt: „Nachruf auf mich selbst“. Er nennt darin fünfzehn Wünsche zu Aspekten, die er in seinem eigenen Nachruf gerne lesen würde. In einem Interview gesteht er, dass diese keineswegs nur das abbildeten, was er aktuell lebe, sondern auch das, was er für sich anstrebe, wünsche – aber eben (noch) nicht sei.
Sophie Passmann hat in einer Lesung einmal gesagt, ihren Büchern werde in Kritiken regelmäßig vorgeworfen, was sie alles nicht sind. Meine Kritik der ersten vier Episoden schlägt in die gleiche Kerbe, ich habe mir erlaubt, diesen Podcast daran zu messen, was ich selbst erwartet hatte. Nach der fünften Folge glaube ich, dass die Erwartung nicht zu hoch gesteckt war. Denn die hat bewiesen: Da ging noch was. Nun bin ich gespannt, was noch kommen wird.
„Nachruf auf mich“ von zebra-audio.net, Medienproduktion München. Die erste Episode (Marteria) erschien am 19. November 2021, bislang sind fünf Episoden erschienen.
Liebe Nicola Wessinghage, ganz herzlichen Dank für diese tolle Kritik zu unserem Podcast. Fundiert, nachdenklich und berechtigt, was das noch zu wenig intensive Eingehen auf die Nachrufe in den Gesprächen angeht. Das werden wir berücksichtigen … stand eh schon auf der „Optimierungsliste“. Herzliche Grüße, Doris Hammerschmidt
Vielen Dank, freut mich, dass Sie mit dem Text etwas anfangen können. Ich bin gespannt, wer noch zu Gast sein wird, stelle mir vor, dass da einzelne auch absagen, weil es ja doch ein eher ungewöhnliches Konzept ist.