#Monatsnotiz: Nach dem Ende eines Monats schreibe ich auf, was mich in den vergangenen Wochen beschäftigt hat, was ich gelesen, gehört habe und weiterempfehlen möchte, woran ich arbeite, was ich be-merkenswert gefunden habe.
Das erste Mal gibt es für den vergangenen Monat auch visuelle Monatsnotizen. Genauso wie es gut ist, am Ende eines Monats noch einmal gedanklich gute Texte, Bücher, Podcasts und Musik hervorzuholen, so gefällt es mir, den Monat in visuellen Eindrücken Revue passieren zu lassen. Ich bin noch nicht sicher, ob das Reel bei Instagram das finale Tool dafür ist – ein Anfang.
Wissenschaftskommunikation für besseres Verständnis von KI
Nach zwei Jahren konnte im Oktober das erste Mal wieder ein Forum Wissenschaftskommunikation als Live-Event vor Ort stattfinden, in Hannover. Ich war leider nur einen Tag dort, und habe es um so mehr genossen, dort Menschen erwartbar und zufällig zu treffen.
Guten Input und Diskussionen habe ich aus einem Workshop zur Darstellung von Künstlicher Intelligenz (KI) in den Medien mitgenommen. Veranstalter waren Wissenschaftler*innen des „Zentrums für rhetorische Wissenschaftskommunikationsforschung zur Künstlichen Intelligenz (RHET AI Center)“ an der Uni Tübingen, die vor Kurzem ein spannendes Forschungsprojekt ins Leben gerufen haben. Viele Menschen beziehen ihr Wissen über KI aus fiktionalen Filmen, Literatur und anderen medialen Darstellungen – und die sind nicht selten irreführend. Das Projekt will sich zunächst ein Bild dieser Darstellungen verschaffen, um dann Lösungen für einen angemessenen Diskurs zu entwickeln. Sich der Prägung durch mediale Bilder und Narrative bewusst zu werden ist alleine deshalb sinnvoll, weil wir alle – auch die, die über den Einsatz von KI entscheiden – davon beeinflusst sind. Nur mit einem realitätsnahen Bild aber sind wir überhaupt in der Lage, über den Einsatz und die Folgen sinnvoll zu reflektieren und zu debattieren.
Neurodiversität
Nicht nur unsere Vorstellungen von KI werden über Medien geprägt, auch das, was wir vermeintlich über ADHS oder Autismusspektrumsstörung (ASS) wissen, entstammt oftmals fiktionalen Darstellungen. Die Betroffenen müssen damit klarkommen, dass wir sie damit konfrontieren, statt erst einmal nachzufragen oder uns besser zu informieren. Unter dem Begriff „Neurodiversität“ werden ADHS und Autismus sowie auch Dyskalkulie und Legasthenie als Phänomene im breiten Spektrum der menschlichen Diversität verstanden und nicht als Krankheit. Der Text von Maret Buddenbohm ist in dieser Hinsicht aufklärend und mutig. Sie berichtet davon, wie es ist, erst viel zu spät die Diagnose zu erfahren, die vieles Ungeklärte erklären kann. Und wie es sich anfühlt, als Betroffene mit dem Unwissen des Umfelds umgehen zu müssen. Ein berührender Text, erschienen im „ADHS-Awareness-Monat“ Oktober, den Maret Buddenbohm zum Anlass genommen hat, ihre Geschichte zu erzählen:
Über meine Neurodiversität Bescheid zu wissen, hat mein ganzes Selbstbild noch einmal umgekrempelt. Ich habe mich die meiste Zeit meines Lebens als Alien gefühlt. Ich habe das Verhalten der Menschen um mich herum studiert und immer versucht, so zu sein wie sie und bloß nicht aufzufallen. Aber egal wie sehr ich mich auch „angestrengt“ und „zusammengerissen“ habe, das Gefühl anders zu sein, ist immer geblieben.
Maret Buddenbohm, „Reiß dich doch einfach mal zusammen“, 8. Oktober 2022
Podcasts
Vom Forum Wissenenschaftskommunikation habe ich einen guten Podcasttipp mitgenommen: „The life scientific“ wird von BBC produziert und möchte Wissenschaftler*innen in ihrer gesamten Persönlichkeit vorstellen. Durch die Gespräche entstehen Verbindungen zwischen der Biographie der Interviewten und ihrer wissenschaftlichen Arbeit, zu dem, was sie heute antreibt.
Empfehlen kann ich die Episode mit der Psychologin Julia Shaw, die unter anderem über „false memories“ forscht. Unser Gedächtnis gibt uns immer wieder vor, Inhalte ganz genau abgespeichert zu haben – und täuscht uns damit. „Ich erinnere mich genau“ – das kann ich nach diesem Podcast nicht mehr ganz unbeschwert äußern.
Bedeutsam finde ich, was Julia Shaw am Ende über unser Gedächtnis sagt, es hat meine Sicht auf die Leistungen unseres Gehirns noch einmal geschärft und deutlich gemacht, das es als Erinnerungsmaschine eigentlich unterfordert ist:
Our brains aren’t there to to perfectly and reliably record the past. Our brains are there to navigate the present and to think about the future. Our brains are these wonderful creative things that are great at problem solving, that allow to be intelligent and to creatively recombine pieces of information that we picked up in the past and to put them together in a way that we’ve never done before: to come with a new story and new solution, a new idea. That is what it’s optimized for. False memories are a by-product of all this.
Julia Shaw, This Life Scientific
Vielleicht müsste man das mal in die Schulen transportieren. Denn der Unterricht hebt leider immer noch mehr darauf ab, Inhalte aus dem Gedächtnis zu reproduzieren, statt sie neu zu arrangieren. Und das ist in einer Zeit, in der die Dokumentation im Internet doch jederzeit verfügbar abrufbar ist, viel verlässlicher, als es unser Gehirn je leisten würde – wenn wir die richtigen Quellen lesen.
Im Oktober ist das neue Buch der Journalistin Mareice Kaiser erschienen: In „Wie viel“ geht sie der unterschiedlichen Bedeutung von Geld für verschiedene Menschen nach, von den Gefühlen, die es auslöst, Geld zu haben – oder eben nicht. Sie erzählt das anhand ihrer eigenen Geschichte und anhand der Gespräche mit Menschen, die viel Geld haben oder zu wenig. Das Buch habe ich noch nicht gelesen, das Gespäch darüber in „Soziales Deutschland“ hat mich beeindruckt. Nicht zuletzt, weil der Host, Gianni Matheja, als Schüler diesen Podcast nicht nur professionell produziert, sondern auch sehr gut und umsichtig moderiert. Die anderen Themen klingen auch spannend – mich hat der Podcast schon mit der ersten Folge, die ich gehört habe, gewonnen.
Seit ich im letzten Jahr „Madame in Nature“ auf Instagram folge, bin ich fasziniert vom Winterbaden in Gewässern. In einer aktuellen Episode des Podcasts „Smarter Leben“ ist es Thema unter dem Aspekt „den inneren Schweinehund überwinden“. Der Komiker und Autor Wigald Boning berichtet über seine persönliche aktuelle Challenge: Ein Jahr lang möchte er jeden Tag lang draußen baden gehen. Wigald Boning berichtet, was ihn zu diesen und anderen verrückten Ideen antreibt, und da fällt ein Satz, der mir gut gefallen hat. Denn er ist vielleicht ein ganz guter Satz, um einfach weiterzumachen, lässt sich wunderbar übertragen: aufs Arbeiten, auf das Eltern- und Kindsein, das Schreiben und auf das Aufstehen am Morgen:
Sport zu treiben, obwohl ich nur Mittelmaß bin, das ist einer der großen Siege meines Lebens.
Wigald Boning in „Smarter Leben“, 8.10. 2022
Neben all dem hier gibt es weiterhin Krieg, Verfolgung und Unterdrückung. Es ist surreal, die Nachrichten von verfolgten Menschen neben denen zu lesen, die es als Herausforderung sehen, jeden Tag draußen schwimmen zu gehen, womit ich sehr weit davon entfernt bin, Letzteres auch nur ansatzweise verurteilen zu wollen. Wir leben eben weiter neben alledem, kochen, gehen einkaufen und machen verrückte Dinge. Umso wichtiger ist die Arbeit von Journalistinnen wie Düzen Tekkal (Instagram und Twitter), die regelmäßig berichten, Bilder zeigen, die kaum zu ertragen sind. Und ich empfehle der Journalistin Natalie Amiri zu folgen (bei Instagram oder auf Twitter) und sich ihr Gespräch mit Eva Schulz im Podcast „Deutschland 3000“ anzuhören, um etwas besser zu verstehen, was gerade im Iran geschieht.
Buch
Bücher von Bergwanderungen haben mich bislang eher nicht interessiert, und ich hätte dieses Buch nicht gekauft und auch nicht ausgeliehen. Doch kenne ich die Autorin persönlich und habe auch ihr Debüt schon sehr gemocht. Silke Stamm erzählt in „Hohe Berge“ von einer Alpenüberquerung, aus Sicht einer Frau, die dieses Abenteuer in einer Gruppe mit fünf Männern wagt. Das ist nicht nur ein gutes Setting, es ist auch sprachlich sehr besonders – Silke erzählt, wie in ihrem ersten Buch, in Infinitiven. Herauszufinden, was dieser Kunstgriff bewirkt, wie er von der Handlung weg ins Innere der Person führt, legt die eine Fährte, die die Spannung in diesem Buch ausmacht. Auf der anderen lässt sich beobachten, wie sich die Protagonistin in der Gruppe als Frau behauptet, was in der Gruppe geschieht, als ein Lawinenunglück geschieht. Beiden bin ich gebannt und gerne gefolgt.
Musik
Die Gruppe Wallners kommt aus Österreich – eine der wenigen Entdeckungen, die ich dem Algorithmus von Spotify zu verdanken habe. Der Song „All again“ der Band ist vielleicht das schönste Lied, das ich in diesem Jahr gehört habe – im Oktober sehr häufig. Die vier Geschwister, die sich 2020 als Wallners gegründet haben, verortet Daniel Gerhardt bei Zeit online (Paywall) „zwischen Romantik und Schauerroman“ und dankt ihnen dafür, die Sinnlichkeit in den österreichischen Pop zurückgebracht zu haben:
Was sich jedoch andeutete, war eine Zukunft für österreichische Popmusik, die sich abseits der Breitbeinigkeit von Wanda oder der selbstironischen Posen von Bilderbuch bewegt.
Daniel Gerhardt, zeit online, 13. November 2021
Danke für die tollen Anregungen, vor allem zum Thema falsche Erinnerungen. Es fasziniert mich schon seit langem. Ich kenne auch ein empfehlenswertes Buch dazu von Douwe Draaisma: Halbe Wahrheiten. Liebe Grüße Petra
Danke! Ja, ich finde das Thema auch sehr interessant, deshalb bin ich dankbar für deinen Hinweis!
Zum Winterbaden und überhaupt passend zur Jahreszeit empfehle ich Katherine May: Wintering: The power of rest and retreat in difficult times. Danach war ich sehr kurz davor im Winter baden zu gehen. Vielen Dank für die Monatsnotizen! Liebe Grüße Julia
Vielen Dank, hört sich gut an, das muss ich mal lesen. Vielleicht schaffe ich es dann wirklich auch bis in den Winter!