Der August war der Monat danach. Nach dem Urlaub, nach der Pause. Ich lese bei LinkedIn vom „Postholidaysyndrom“ und glaube nicht an die Wirkung der Tipps, die zum Umgang damit aufgeführt werden (im Urlaub schon mal regelmäßig Mails lesen, Abwesenheitsmail erst am zweiten Tag abstellen, etc.). Ich bin auch gar nicht davon zu überzeugen, dass man dieses „Syndrom“ bekämpfen sollte.

Stattdessen könnte man die im Urlaub entwickelte Distanz zum Alltag ruhig noch etwas ausleben, finde ich. In die Richtung denkt auch die Journalistin Barbara Bleisch in ihrer Kolumne im Schweizer Tagesanzeiger(Abo). Wie bewahre ich bloß die innere Ruhe, die gewonnene Distanz, fragt sie? Und glaubt ebenfalls nicht an die Versprechungen der Expert*innen für Selbstoptimierung. Stattdessen kommt sie über das schöne Zitat „I would prefer not to“ aus der Erzählung von Herman Melville mittels kreativer Umkehrung zu einem produktiven Umgang mit dem Urlaubsblues:

Aber vielleicht hilft es schon, sich öfter zu fragen: «What would I prefer to?»

Barbara Bleisch

Keine Frage, die sich in einem Monat beantworten ließe. tbc.

Back to normal?

In diesem Jahr wirft das „Zurück in den Alltag“ ja noch ganz andere Fragen auf, und ich habe viel mit dem Text „Irgendwie nicht meins“ von Maximilian Buddenbohm anfangen können, der beschreibt, wie er zu dem Schluss kommt, in der Pandemie „den Alltag verlernt“ zu haben. Ein schöner Kommentar unter dem Text: 

Am meisten fürchte ich, alles könnte wieder so werden wie vorher.

Carsten K.

Für mich fühlt sich weiterhin vieles an wie Ausnahmezustand, wenig ist verlässlich planbar, immer noch machen Corona-Fälle, zusätzlich Bahnstreiks und Wetterkatastrophen Striche durch meine Rechnungen. Aber auch ich finde ein „back to normal“ in einigen Punkten nicht wünschenswert – und das nicht nur, weil die AfD mit dem unsäglichen Slogan wirbt „Deutschland – ganz normal“. 

Zum Begriff des Normalen hat mir das Gespräch mit der Soziologin Paula-Irene Villa in der Sendung Sein und Streit im Deutschlandfunk einige Denkanregungen gegeben. Sie zeigt, wie fluide und im täglichen Sprachgebrauch auch irreführend der Begriff der Normalität eigentlich ist. Und fordert, dass wir unseren Begriff von Normalität korrigieren müssten:

Das, was als normal gilt, muss gar nicht die Mehrheitserfahrung sein, muss gar nicht das sein, was für viele, alle oder die große Mehrheit gilt.“

Paula-Irene Villa

Arbeit

Auch in der Agentur ist das „nach der Pandemie“ gerade ein Thema. Wir starten aktuell eine Umfrage, um zu erfahren, wie wir in Zukunft zusammen arbeiten wollen. Aus vielen Gesprächen mit den Mitarbeiter*innen und auch aus meinen persönlichen Einschätzungen heraus bin ich mir jetzt schon sicher: Es wird nicht wieder so werden wie früher. Wir haben insbesondere mit dem digitalen Arbeiten und Homeoffice viele gute Erfahrungen machen dürfen und werden versuchen, das zu bewahren und zu stärken, was wir als positiv erlebt haben. 

Außerdem im August in der Agentur: viele Ausschreibungen und der erste Workshop vor Ort für das Projekt eines neuen Kunden – nach mehr als einem Jahr. Konferenzraum statt Homeoffice, Flipchart und Metaplan statt digitalem Whiteboard Miro, echte Menschen mit Unterleib, Schokolade zur Bewirtung. Richtig ungewohnt und ungewöhnlich inspirierend, sehr herzlich und sehr lebendig war das. Schön! 

Ein neuer Podcast, den wir in der Konzeption begleiten durften: Die Rektorin der FernUniversität in Hagen, Ada Pellert, spricht in der ersten Staffel von „Lernen neu denken“ mit den Verantwortlichen für Bildungspolitik der verschiedenen Parteien vor der Bundestagswahl.

Aktuell planen wir für den kommenden Monat unseren regelmäßigen Online-Stammtisch, diesmal zu kreativer Wissenschaftskommunikation. Ich freue mich sehr darauf, dass Julia Bihl vom Theater- und Performancekollektiv Kompanie Kopfstand und der Journalist und Autor Dirk von Gehlen („Anleitungen zum Unkreativsein“) zugesagt haben. Der Stammtisch ist offen für alle Interessierten

Podcasts

 „Lob des Gehens“ hat noch Pause, aber ich bin schon in der Vorbereitung für die September-Episode, in der es um das Pilgern gehen. Passt gut hier in den Text, denn Pilgern ist, was das Postholydaysyndrom angeht, wie Urlaub, nur krasser, – sagte mir einer meiner beiden Gesprächspartner. 

Hamburg hOERt ein HOOU ist der Podcast, den ich im Auftrag der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) moderiere. Am 29. August ist die Episode erschienen, in der ich mit Prof. Klaus Sill von der Hafencity-Universität über sein Projekt Digitaler Gebäudelehreratlas gesprochen habe, über Wohnprojekte, öffentliche Bücherhallen und über das, was „gute Architektur“ ausmacht.

Meine Podcastempfehlung in diesem Monat gilt „Merkel-Jahre – der unwahrscheinliche Weg der Angela M.“, dem Angela-Merkel-Porträt – ein Podcast-Feature in sechs Teilen im Deutschlandfunk von Stefan Detjen und Tom Schimmek. Mir ist beim Hören vor allem klar geworden, wie viel von ihren Anfängen ich schon wieder komplett vergessen hatte. Das Porträt bringt Angela Merkel mir näher, als ich sie in den letzten Jahren wahrgenommen habe. Es sind – das markiert ihren Weg – vorrangig Männer, die hier das Bild zeichnen, sie beurteilen, die Gesprächspartner im Feature genau wie die beiden Autoren des Podcasts. Zum Glück kommen auch Frauen zu Wort – Weggefährtinnen wie Rita Süßmuth, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, eine Biografin. Ihre Beiträge zeigen, was fehlt, wie unvollständig das Bild bleibt, wenn die weibliche Perspektive ausgelassen wird, die so ein Porträt erst vollständig machen kann.

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Werbung Deutschlandfunk (Foto Imago/Photothek)

Ich habe das Gefühl, mit diesem sehr analytischen, sehr umfassenden Porträt meinen Bedarf an Merkel-Biographischem erst einmal gedeckt zu haben – es werden sicher noch einige folgen. Spannender finde ich nun zu beobachten, wie sie aus ihrer letzten großen Krise Afghanistan herausgehen wird. Und noch ein bisschen spannender, wie und ob sie uns nach ihren Kanzlerinnenjahren begegnen wird.

Musik

Ich war wieder auf Konzerten! Bernd Begemann ist „Nach dieser dunklen Zeit“ aktiv wie eh und je und war am Hammer Deich in einer Pop-up-Location zu hören, ein schöner Sommerabend am Kanal. Niels Frevert sang auf der ebenfalls provisorisch eingezäunten Bühne im Park „Planten und Bloomen“ und es war einfach großartig. Ich werde nun jedes Konzert besuchen müssen, das er in Hamburg gibt.

Neue Musik gibt es von der Band Trümmer, endlich – mein Song des Monats ist wohl „Aus Prinzip gegen das Prinzip“.

Brombeeren

Zum Beitragsfoto: Der August ist der Brombeermonat, ich liebe diese Frucht, seit meiner Kindheit. Dieses Jahr war eine Wucht, die Ernte fiel sehr üppig aus, ich habe an den verschiedenen Lieblingsorten gepflückt – und war glücklich.

Nicht gelesen, nicht gesehen

Auf dem Stapel ungelesener Bücher warten jetzt schon Wochen „Kim Jiyoung, geboren 1982“ von Cho Nam-Joo und „Tod an der Alster“ von meiner Freundin Anke Küpper. Die Zeit zum Lesen fehlte in diesem Monat, da hat auch mein „miracle morning“ nicht geholfen (siehe meine Monatsnotiz Juli, ich experimentiere noch…). Den Film „Die Unbeugsamen“ über die ersten Politikerinnen der Bonner Republik habe ich noch nicht sehen können, bin aber seit dem Gespräch von Susanne Klingner und Lena Sindermann mit zwei ehemaligen Politikerinnen, Ursula Männle und Carola von Braun, im Lila-Podcast sehr neugierig darauf.

Danke

Die positiven Rückmeldungen zu den ersten Monatsnotizen haben mich gefreut. Ich habe nun beim Auswählen und Schreiben erste Leser*innen im Kopf.