Die Ankündigung des SZ-Magazins vom heutigen Freitag hat den Tech-Blogger Sascha Pallenberg von Mobilegeeks in Rage versetzt:

„Die Titelgeschichte des SZ-Magazins (€-Link) ist der erste Einblick in das verschwiegene Geschäft der Facebook-Content-Moderatoren in Berlin“.

Was Pallenberg so wütend macht: Er selbst hatte bereits vor drei Wochen über das Facebook-Löschteam berichtet. Und schließt daraus: Die SZ-Geschichte verkaufe Einblicke, die gar nicht exklusiv seien. Er habe sich zumindest eine Erwähnung in dem Longread aus dem SZ-Magazin und auf sueddeutsche.de gewünscht, sagt er, und spricht von „Story-Klau“. Am Ende seines Beitrags fordert er Leser*innen dazu auf, den Hashtag #insidefacebook zu „kapern“, auf sein Posting zu verlinken und die eigene Meinung dazu zu äußern, was man vom Umgang der Süddeutschen mit der Geschichte halte.

Der Vorfall sagt viel über das Verhältnis zwischen Bloggern und klassischen Medien aus, die immer wieder als feindliche Lager inszeniert werden oder sich selbst so präsentieren – wie hier. Beide Seiten tragen dazu bei, und vielleicht würde es einfach helfen, wenn man sich gegenseitig mehr in seinen jeweiligen Rollen sehen und schätzen könnte.

Einige Punkte, die mir zu der Geschichte eingefallen sind, bzw. Fragen, die ich mir gestellt habe:

  • Da die beiden Autoren des SZ-Magazins den Beitrag von Sascha Pallenberg offensichtlich kannten, ist mir nicht verständlich, warum sie nicht darauf verwiesen haben. Für mich als Leserin zählt übrigens nicht, wer die Geschichte zuerst „gehabt“ hat, sondern was die Autoren jeweils dazu zu erzählen haben. Hier waren es unterschiedliche Ansätze, beide wichtig.
  • Was war an der Geschichte exklusiv? Die SZ schreibt von der „Exklusiv-Recherche“ – tatsächlich aber waren es die Facebook-Regeln zum Löschen von Beiträgen, die nach Angaben der Autoren nur ihnen vorlagen. Recherchiert haben mehrere.
  • Welches Verständnis von Eigentum an Geschichten offenbart es, wenn Sascha Pallenberg von „Story-Klau“ spricht und dieser Begriff nun im Netz die Runde macht? Widerspricht der Blogger sich in dieser Anschuldigung nicht selbst schon im eigenen Text, wo er zu Recht darauf hinweist, dass die Information über Arvarto als Löschkolonne für Facebook schon Anfang des Jahres bekannt war, also auch vor seinem Beitrag? Dass auch über die psychischen Belastungen schon zu hören war – am Beispiel von Kommentarreinigern auf den Philippinen? Man sollte mit solchen Ausdrücken vorsichtig umgehen – mich erinnert dieser an den Begriff vom „geistigen Eigentum“ in der leidigen Urheberrechtsdebatte.
  • Hätte die ganze Sache nicht auch ein gutes Beispiel dafür werden können, wie Blogger und Journalisten zusammenarbeiten und sich ergänzen? Sascha Pallenberg hat ein Thema aufgegriffen, das wichtig ist, uns betrifft, die wir uns auf Social-Media-Kanälen bewegen, und das auch den politisch Verantwortlichen bewusst sein sollte. Aber: Sein Beitrag hat bis heute noch keine größeren Kreise gezogen (was sich gerade ändert durch seinen Rant…). Es ist für mich auch fraglich, ob die Aussagen eines einzelnen Ex-Mitarbeiters von Arvarto ausreichen, um wirklich größeren Wind in die Sache zu bringen. Die SZ-Autoren hatten mit der Süddeutschen im Hintergrund andere Möglichkeiten für die Recherche und auch Verbreitung: Sie konnten länger und intensiver recherchieren, haben gleich mehrere Mitarbeiter*innen, aktuelle wie gekündigte, befragen können, und auch Stellungnahmen von den Unternehmen Arvarto und Facebook eingeholt. Im Zweifelsfall hätten sie den Rechtsbeistand einer juristischen Abteilung hinter sich gehabt – bei dem Thema nicht ganz unwichtig. Wenn es rein um die Aufklärung geht, dann hat es der Sache gut getan, dass die SZ das Thema aufgegriffen hat.
  • Ist es angemessen, der Süddeutschen vorzuwerfen, dass sie ihre Zeitungen verkaufen will? „Exklusiv ist sowas von 60er Jahre, ausser… ja ausser du arbeitest bei der Sueddeutschen Zeitung, denn da muss man noch ordentlich für die Auflage trommeln. Schließlich kennen die Zahlen seit Jahren nur noch eine Richtung“ (dazu Abbildung eines Säulendiagramm, das sinkende Absätze zeigt).
    Ich bin froh um jedes Qualitätsmedium, dem es gelingt, ein funktionierendes Geschäftsmodell zu entwickeln. Dass man einige Instrumente dabei hinterfragen kann, sei dahingestellt. Das „Exklusiv“-Label, da gebe ich Pallenberg wiederum Recht, ist überholt, mir ist bei dem Thema die Ankündigung auch eher unangenehm aufgefallen. Wenn es den Verkauf aber hebt, würde ich es trotzdem hinnehmen, weil ich ein Interesse am Fortbestand von Medien wie der Süddeutschen habe.
  • Und zum Schluss: Hilft der Ton, den Sascha Pallenberg in seinem Rant anschlägt, wirklich weiter, das Verhältnis zwischen Bloggern und Journalisten zu verbessern? Wohl nicht. Er könnte sich an seine eigene Empfehlung erinnern, die er in seinem ersten Beitrag ausgesprochen hatte, als er um mehr Verständnis gegenüber den Facebook-Mitarbeitern bat: „Generell die Betriebstemperatur ein wenig herunterfahren“.

    „Und wenn ihr mir darüber hinaus noch einen Gefallen tun wollt: Versucht, zu einem besseren Klima beizutragen.“

Die Kritik an der Aufmachung des SZ-Beitrags hat leider von seinem eigentlichen Inhalt und auch von dem des Textes bei Mobilegeeks abgelenkt – was schade ist. Denn eigentlich haben ja alle Autoren ein gemeinsames Anliegen. Und eigentlich könnte ein kollaboratives Arbeiten zwischen Bloggern und Journalisten bereichernd sein – dass es hier nicht funktioniert hat, dazu haben aus meiner Sicht beide Seiten beigetragen.

Wie es besser funktionieren könnte, zeigt Max Hoppenstedt von Motherboard Deutschland: Er nennt und verlinkt beide Beiträge, nimmt die Recherchen auf und geht einen nächsten Schritt, wenn er fragt, was höher gestellte Arvarto-Mitarbeiter zu den Berichten sagen. So entwickelt sich eine Geschichte weiter, die übrigens jetzt auch von anderen Medien aufgegriffen wird – in der Zusammenarbeit von Bloggern und Journalisten.

Update 17.12.: Sascha Pallenberg hat mich gerade auf Twitter darauf hingewiesen, dass er sich seit Jahren für das bessere Verhältnis zwischen Bloggern und klassischen Medien stark macht und jetzt einfach mal einen Rant loswerden wollte.

Den Impuls kann ich nachvollziehen, glaube aber dennoch nicht, dass diese Form des „draufhauen“ hilft. Hier ein Beitrag aus 2012, auf den er mich aufmerksam gemacht hat.