Die Rede des amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald beim Jahrestreffen des Chaos Computer Clubs in Hamburg hat seit gestern eine Diskussion um die allgemeine Rolle von JournalistInnen ausgelöst. Greenwald hatte Anfang Juni die ersten Dokumente aus den Händen Edward Snowdens zu den NSA-Überwachungsaktivitäten veröffentlicht. In seiner Hamburger Rede attackiert er die NSA und die US-Regierung.
Ein Kommentar auf Zeit online von Kai Biermann und Patrick Beuth hat den Anstoß für die Debatte um das Selbstverständnis von Journalisten gegeben. Die beiden Autoren sehen eine Grenze überschritten, wenn Greenwald von den anwesenden Hackern und sich im einvernehmlichen „wir“ spricht.
„Kann jemand gleichzeitig Journalist und Aktivist sein? Der eine soll beobachten und beschreiben, der andere soll kämpfen und überzeugen. Beide haben unterschiedliche Rollen und das aus gutem Grund.“
Eine Gegenposition entwickelt dazu Ole Reißmann in einem Beitrag auf Spiegel online:
„Im Prinzip sagt Greenwald nur, was heute jeder Journalistenschüler lernt: Niemand ist völlig neutral, immer spielt der eigene Hintergrund und die eigenen Erfahrungen eine Rolle bei den Entscheidungen darüber, was in welcher Form berichtet wird. Greenwald geht damit offensiver um als viele seiner Kollegen: Nachdem er die Fakten geprüft hat, in aller Fairness, entwickelt er eine klare Haltung.“
So hat Greenwald, der sich selbst zu der Debatte via Twitter äußerte, nachzulesen in einem storify, eine grundlegende Frage für den Journalismus aufgeworfen. Was macht die Rolle von Journalisten aus? Ist sie/er Verwalter/in von Informationen, liefert Fakten und überlässt die Meiungsbildung den Rezipientinnen und Rezpienten? Oder machen sich Journalisten in einer guten Berichterstattung selbst für eine Sache stark? Sind Journalisten, die sich von der Illusion der neutralen Beobachtung verabschiedet haben, automatisch Aktivisten, wie Greenwald in einem Tweet antwortet?
Problematisch finde ich es, Journalismus, der Haltung und Subjektivität erkennen lässt, gleichzusetzen mit einem Journalismus, der sich die Ziele von Aktivisten zu eigen macht. Eine Aktivisitin, ein Aktivist verfolgt ein politisches Ziel, das zu erreichen die Intention des Handelns ist. Andere Ziele stehen dahinter zurück. Im Zweifelsfall halten Aktivisten Informationen konsequenterweise zurück, wenn sie ihr Ziel behindern könnten. Journalisten sollten als oberste Maxime die freie Meinungsbildung als ethische Richtlinie sehen – und damit einen Schritt hinter dem politischen Aktivismus bleiben. Dass Journalisten selbst als Mensch mit Haltung und persönlicher Meinung sich dabei nicht zurücknehmen, im Gegenteil auch zu erkennen geben, ist für mich selbstverständlich und ein Gebot der Transparenz.
Politischer Aktivismus nutzt Öffentlichkeitsarbeit und damit verbunden klassische PR-Instrumente, um möglichst viele Anhänger für ihre Sache zu gewinnen. Können Journalisten, die zu Recht auf einer strikten Trennung von PR und Journalismus beharren, sich gleichzeitig als Aktivisten sehen? Ich glaube nein.
Was die Trennung zwischen Aktivismus und Haltung im Fall von Greenwald jedoch wieder komplexer macht, ist der Gegenstand dieser speziellen Debatte. Es geht in seinem Engagement in der NSA-Affäre um den Protest gegen das Ausspähen privater Daten, deren Schutz unter anderem die Grundfeste journalistischer Arbeit berührt. Die Überwachung mit Ausspähungsprogrammen ist ein Angriff auf die Presse- und Informationsfreiheit und bedroht damit eines unserer Grundrechte. Greenwald und viele andere Journalisten, die seine Ansichten unterstützen und sich dabei als Aktivisiten verstehen, machen sich nicht mit irgendeiner Sache gemein. Es geht nicht zuletzt auch um den Schutz ihrer eigenen Arbeit. In diesem Falle dient ihr Engagement der freien Meinungsbildung. Ich halte es für legitim, dass hier ein Rollenwechsel stattfindet und Journalisten zu Aktivisten werden.
So lässt sich für mich in dieser Debatte kaum eine eindeutige Antwort finden. Es zeigt sich, dass der auch in dieser Diskussion viel zitierte Ausspruch des Journalisten Hans Joachim Friedrichs als Richtlinie zu einem ethischen Handeln im Journalismus nicht weiter hilft.
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ (Hans Joachim Friedrichs)
Letztlich stehen Journalisten vor einer Gewissensentscheidung, die von Fall zu Fall neu getroffen werden muss. Sie müssen abwägen, ob es um singuläre Interessen einer Partei, eines Verbandes, einer politischen Bewegung oder ob es um die Verletzung von ganz Grundsätzlichem – von Menschenrechten – geht.
Update 21.51 Uhr:
1. Der Journalist Daniel Bröckerhoff hat einen Beitrag zur Debatte geschrieben, der in eine ähnliche Richtung geht – und führt am Ende seines Posts weitere Beiträge zur Diskussion auf. Lesenswert.
2. Jochen Werner, Chefredakteur von Zeit online, hat heute ebenfalls einen Kommentar zu der Debatte verfasst und unterstützt darin die Auffassung, dass Journalisten niemals Aktivisten sein sollten. In seinem Idealbild vom Journalismus schreibt er einen Satz, der vielleicht noch einmal der Ausgangspunkt für einen weiteren Beitrag hier im Blog sein könnte:
„Journalisten arbeiten, frei nach Popper, mit Freude an der Falsifizierbarkeit ihrer Erkenntnisse und finden eine angemessene Darstellung für das, was sie zu wissen glauben und auch für das, was sie nicht wissen.“
Was wäre das schön!
Greenwalds Freiheitskampf in Ehren, schmeckt mir nicht, wie das Adjektiv „aktivistisch“ mit dem Substantiv „Aktivist“ in dieser Debatte synonym gesetzt wird. Ja, ein aktivistischer Journalismus ist zu befürworten. Ein Journalismus also, der alle Register zieht, die ihm offen stehen, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Greenwald mag ein aktivistischer Journalist sein. Problematisch ist, dass er auch ein politischer Aktivist ist. Das passt nicht zusammen. Dann wird er demnächst noch zum Präsidenten Amerikas gewählt und will trotzdem noch Journalist sein, oder wie?
Fünf gute Gründe gegen eine solche Doppelrolle habe ich hier: http://saatgruen.wordpress.com/2013/12/30/journalist-aber-richtig/
Danke für den Hinweis auf deinen guten Beitrag. Die Vermischung von aktivistisch mit Aktivist sehe ich in der gleichen Linie wie die für mich nicht zulässige Gleichsetzung von Aktivist und Haltung.