Dirk von Gehlen hat heute auf der Direttissima-Konferenz eine Keynote zum so genannten Shruggie-Prinzip vorgestellt, das für ihn die (angemessene) digitale Lebenshaltung visualisiert. Der Shruggie ist ein Emoji, das eine Art Schulterzucken symbolisiert – die Handteller seitwärts im fast rechten Winkel nach oben gestreckt, dazu ein Lächeln: „Ich weiß es doch auch nicht“.
\_(ツ)_/¯
Der Shruggie steht für eine produktive Ratlosigkeit, deren Eingeständnis uns davor schützt, alles sofort zu bewerten, eine Meinung zu haben.
- fröhlich
- ratlos
- gelassen
- digital
sind die Eckpfeiler dieses Lebensgefühls, wie Dirk es beschreibt. „Social Media Gelassenheit“ nennt er es in einem anderen Beitrag – und ich bin fest davon überzeugt, dass es einige der aktuellen Diskussionen bereichern würde, würde sich diese Gelassenheit durchsetzen.
Ratlos oder gleichgültig?
Ich mag diesen ratlosen Shruggie auch, aber irgendetwas an ihm hat mich von Anfang an irritiert. Als ich heute die Folien des Vortrags gesehen habe, wurde mir klar, was das war. Schulterzucken steht eben nicht nur für Ratlosigkeit, sondern auch für Gleichgültigkeit. Beides liegt nahe beieinander: Das „Ich-weiß-es doch-auch-nicht“ lässt sich auch interpretieren als ein „Ist-mir-doch-egal“.
Die Nuance ist bedeutend. In Gesprächen mit Menschen, die unserer digitalen Gegenwart und Zukunft eher kritisch, ängstlich bis ablehnend gegenüberstehen, ist der Unterschied zu spüren. Diskussionen über die Chancen des digitalen Wandels bewerten sie immer wieder als Gleichgültigkeit gegenüber denen, die davon erst einmal negativ betroffen scheinen: Künstler*innen, die merken, dass ihnen ihr Geschäftsmodell abhanden kommt, Menschen, die Sorge haben, ihren Job zu verlieren, weil ein Computer sie schon bald ersetzen wird, Eltern, die nicht mehr verstehen, in welchen digitalen Welten sich ihre Kinder bewegen. Wir haben ja noch nicht wirklich befriedigende Antworten auf die Fragen, die sie bewegen.
Man kann diesen Besorgten sagen, dass Ängste sie nicht weiter bringen, man kann aber auch fragen, was dahinter steckt. Es ist vielleicht die Befürchtung, dass im Prozess der digitalen Disruption auch Werte flöten gehen, für die viele in unserer Gesellschaft sich stark machen. Zum Beispiel: Solidarität. Die Verantwortung eines Arbeitgebers für seine Angestellten. Die Wertschätzung von Kunst und Kultur und der Menschen, die sie schaffen. Das Recht auf Privatsphäre.
Wie wir leben wollen
Ich glaube, dass wir noch viel intensiver diskutieren könnten, „wie wir leben wollen“, welche Werte wir bewahren möchten, welche neuen Regeln es braucht, um sie in ein digitales Zeitalter zu transformieren. Dafür ist der Blick „in den Rückspiegel“ dann schon einmal sinnvoll, um weiter nach vorne fahren zu können.
In diesem Prozess identifiziere ich mich selbst allerdings auch wieder eher mit dem ratlosen Shruggie. Ich habe die Lösungen noch nicht vor Augen. Bin nicht nur fröhlich, aber insgesamt verhalten optimistisch. Ich glaube, dass wir mit der Zeit welche finden werden. Weil wir sie brauchen.
Und hier gibt es die Folien des Vortrags von Dirk von Gehlen, die Ausgang für diese Überlegungen waren. Hier ein kurzes Interview dazu.