: Nach dem Ende eines Monats schreibe ich auf, was mich in den vergangenen Wochen beschäftigt hat, was ich gelesen und gehört habe und weiterempfehlen möchte, woran ich arbeite und was ich bemerkenswert gefunden habe.

Auch wenn die politische und allgemeine Weltlage so gar keinen Anlass dazu bieten: Ich bin mit viel Vorfreude, vielen Ideen im Kopf und sehr motiviert ins neue Jahr gestartet. Am ersten Tag nach der Weihnachtspause warteten ein neues Büro, ein neuer Arbeitsweg entlang am Kanal und gleich mehrere spannende Projekte, die teils schon im letzten Jahr begonnen hatten. Es ist ein gutes Gefühl, nun ganz auf die neue Form der Selbstständigkeit konzentriert zu sein.

Ich mag mich aktuell nicht in die durchaus begründete Untergangsstimmung hineinziehen lassen. Das vernebelt das Hirn – wir brauchen gerade jetzt Ideen und die Motivation, Demokratie-zersetzenden Kräften etwas entgegenzusetzen. Ich habe mich an einen Artikel aus der taz aus dem August des letzten Jahres erinnert, in dem zehn Intellektuelle sehr handfeste, konkrete und einfache Ideen vorschlagen, die unsere Demokratie stärken können – vom Koalitionsvertrag mit nur zehn Seiten und konkreten Zielsetzungen über mehr Bürgergeld für Bedürftige bis hin zum Schutz unserer Demokratie vor den Entwicklungen der KI. Die Beispiele zeigen: Es gibt so viele gute Ansätze, es wäre nicht zu schwer, einiges zum Besseren zu verändern. Es wäre einfach Zeit, dass wir sie auf den Tisch bringen und ernsthaft darüber diskutieren könnten. Wenn sich die demokratischen Parteien wieder darauf einigen könnten, dass es wichtiger ist, Veränderungen voranzubringen als sich gegenseitig zu zerfleischen, so ist das das Beste, was der AfD entgegenzusetzen wäre. Leider sind die vielen Maßnahmen, die die Ampel während ihrer Zeit umgesetzt hatte, kommunikativ immer hinter den Streitereien im Hintergrund geblieben, bis zum Schluss. Sich mehr darauf zu fokussieren, würde einer allgemeinen Verunsicherung, die ich bei vielen spüre, entgegenwirken. Es könnte dem Eindruck etwas entgegensetzen: „Die da oben, die packen es nicht mehr“. 

Causa Thilo Mischke oder eine unsägliche Debatte

Über den Jahreswechsel bis ins neue Jahr hinein habe ich die Diskussionen um den Autor und Journalisten Thilo Mischke über seine geplante Besetzung als neuer Moderator von ttt (Titel, Thesen, Temperamente) verfolgt – zunehmend mit Unbehagen. Das alles ist jetzt schon wieder ein paar Wochen her, aber die Debatte ist aus meiner Sicht auch vom Stil her so ungut für alle Beteiligten verlaufen, dass man darüber noch einmal nachdenken sollte. Zur „Causa Mischke“ finden sich sehr viele Beiträge im Netz. Die zwei Texte bei Übermedien ergeben einen ganz guten Eindruck von der Art, wie über diese unglückliche Personalie der ARD diskutiert worden ist. 

Thilo Mischke war von der ARD benannt worden, die Nachfolge der Moderation bei ttt von Max Moor zu übernehmen und zusätzlich gemeinsam mit Jule Lobo einen neuen Podcast zur Sendung zu moderieren. Dagegen hatte es heftige Proteste gegeben, nicht nur wegen eines sexistischen Buchs, das Mischke 2017 herausgebracht hatte, sondern auch wegen seiner sehr kruden, bedenklichen Thesen zum Thema Vergewaltigung von Frauen, die er noch verlauten hatte lassen, als das Buch schon vom Markt war. Wer die ganze Absurdität seiner Aussagen erfassen will, kann das sehr gut bei Markus Pösel nachlesen, der den Unsinn aus wissenschaftlicher Perspektive auseinandergenommen hat.

Ich kannte bis Ende des Jahres weder das Buch noch diese Äußerungen Mischkes – die Entscheidung, ihn an die Spitze von ttt zu setzen, hatte mich dennoch auch überrascht. Denn Thilo Mischke hatte sich in einem Posting zu seinem neuen Job Ende des Jahrs damit vorgestellt, einen „sehr unterkomplexen Kulturbegriff“ zu haben. Ich glaube, wir brauchen gerade viel mehr Verständnis für die Komplexität vieler kultureller und politischer Phänomene unserer Gegenwart. Wir brauchen Menschen, die Filme, Bücher, Debatten in ihrer Vielschichtigkeit erkennen und dieses vermitteln. Menschen, die Zusammenhänge aufzudröseln, statt über sie hinwegzuwischen, damit es einfacher verdaulich ist. Was ist das für ein Signal, wenn sich da jemand damit brüstet, einen unterkomplexen Kulturbegriff zu haben? 

Nachdem ich im Podcast von feminist shelf control von den mehr als unglücklichen Äußerungen Mischkes erfahren hatte, fand ich den Protest gegen die Besetzung richtig. Gleichzeitig erschient es mir schon nach kurzer Zeit zunehmend problematisch, in welcher Art und Weise und mit welcher Intensität über einen Menschen geschrieben und gesprochen wurde, der sich selbst noch nicht dazu geäußert hatte. Wie Menschen beschimpft wurden, die einfach anderer Meinung waren und die Proteste gegen die Besetzung überzogen fanden. Auf der anderen Seite waren mindestens genauso inakzeptabel die Diffamierungen gegen die Journalist*innen und Unterzeichnenden des Offenen Briefs: Eine „wilde Jagd“, wurde ihnen vorgeworfen, Begriffe wie „Meute“ waren zu lesen, als „selbstgerecht“ wurden sie diffamiert. Direkte Angriffe gingen bis unter die Gürtellinie.

Thilo Mischke und auch die ARD hatten mit Protesten sicher rechnen müssen. Der Journalist hat 2021 in einem Interview bei turi gesagt, dass er niemals Politiker werden könne: „Wenn ich mich entscheide, in die Politik zu gehen – wie oft muss ich mich bitte für das Buch (…) entschuldigen?“ Vermutlich war die Idee gewesen, dass die Aufregung sich nach Weihnachten dann schon wieder gelegt haben würde – und dass man so lange am besten gar nicht reagieren sollte. Wie man das bei Shitstorms so rät: Internet aus, bis die Wogen sich geglättet haben. Dieser Sturm, der kein Shitstorm war, war absehbar gewesen, deshalb war das Timing kein Zufall. 

Ich glaube, dass es in diesem Fall überhaupt keine gute Strategie war. Thilo Mischke hat sie geschadet, der ARD mindestens genauso, der Sendung auch. Und auch allen, die protestiert hatten – und sich nun der Hetzjagd beschuldigt sahen. Dabei haben sie das geäußert, was auch aus der ttt-Redaktion selbst hätte gehört werden können – wenn die Verantwortlichen zugehört hätten und das Gehörte ernst genommen hätten. Denn die Personalie war auch ARD intern nicht unumstritten gewesen.

Was bei all dem in den Hintergrund trat: Die insgesamt an die 200 Künstler:innen, Journalist:innen, Autor:innen, die gegen die Besetzung protestiert hatten, haben sich nicht nur gegen einen Moderatoren, sondern auch für eine Sendung ausgesprochen. Ein Format, das ihnen offensichtlich so wichtig war, dass sie bereit waren, auch persönliche Konsequenzen zu ziehen, wenn der Protest ungehört geblieben wäre.

Die ARD konnte das offensichtlich nicht sehen. Die Verantwortlichen blieben zunächst bei Mischke, zogen die Entscheidung dann zurück, argumentierten unter anderem mit dem Schaden, den die Diskussion der Marke zufüge: 

„Doch die in den vergangenen Tagen entstandene heftige Diskussion um die Personalie Thilo Mischke überschattet die für uns zentralen und relevanten Themen, die wir mit der Sendung und Marke ‚ttt‘ transportieren und gemeinsam mit der Community diskutieren möchten so, dass dies nicht mehr möglich ist“.

Aus meiner Sicht haben die ARD-Verantwortlichen hier jedes Bewusstsein für die Besonderheiten und Stärken der Marke ttt fehlen lassen, sonst wären sie gar nicht auf die Idee gekommen, einen Moderator zu wählen, der sich selbst mit einem „unterkomplexen“ Verhältnis zu Kultur für seine Aufgabe vorstellt. Und wenn schon das Wort Community fällt: Das geht anders. Wer seine Fans ernst nimmt, hört zu, tauscht sich aus, nimmt Kritik auf, erklärt, statt zu vermelden. 

Was könnte man anders machen? Jede*r Einzelne sollte sich hinterfragen und auch in die Person hineinversetzen, auf die sich alle Kritik fokussiert. Vor allem sollten wir uns darauf einigen, dass wir unterschiedliche Standpunkte diskutieren können, ohne uns dabei mit Angriffen auf die Person gegenseitig zu schädigen. 

Veranstaltung: Die Kunst des Zuhörens

Ich war bei einer öffentlichen Veranstaltung der Buccerius-Law-School zu Gast: Bernhard Pörksen diskutierte im Gespräch mit SPD-Politiker Wolfgang Schmidt, moderiert von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff. Es ging unter anderem um Bernhard Pörksens neues Buch „Zuhören“, in dem er diese Kunst als grundlegend für gelungene gesellschaftliche Debatten sieht. Sein Imperativ des Zuhörens ist in etwa das Gegenteil dessen, was bei der Mischke-Diskussion und bei vielen anderen aktuellen Debatten zu beobachten war und ist. 

„Man fragt sich, beim „Du-Ohr-Zuhören“ und auf dem Weg zur Anerkennung von Andersartigkeit: In welcher Welt ist das, was der andere sagt, plausibel, sinnvoll, war? In welche Wirklichkeit passt es hinein? Der Imperativ, dieser Form von Welt und Wirklichkeit Zuwendung könnte folgendermaßen lauten: Erkenne das andere als anderes – in seiner Fremdheit, seiner Schönheit, seinem Schrecken. Es ist es entschiedene Bemühen, über die eigene Perspektive hinaus zu gelangen, dass diese Form des Zuhörens auszeichnet. Das Ringen um Bestätigung bereits vorgefasste Auffassungen wird schwächer, nimmt ab, die eigene Agenda tritt zumindest in den Hintergrund.“ Seite 28

Von der Idee geht Pörksen damit auf den Philosophen Hans-Georg-Gadamer zurück: „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.“ Er ergänzt dabei jedoch auch die kritische Reflexion der eigenen Beteiligung, denn das Zuhören sei stets auch gefangen im System der eigenen Geschichte, der „Urteile und Vorurteile“.

In allen Diskussionen über unsere Debattenkultur wird irgendwann Social Media als Schuldiger ausgemacht, das war auch bei der Diskussion in der Buccerius Law School nicht anders. Das ist zum Teil berechtigt, da die Mechanismen der Plattformen dazu führen, die allgemeine Empörung zu steigern. Gleichzeitig sind wir dem nicht hilflos ausgeliefert, sondern können unser Verhalten entsprechend steuern. 

Meiner Meinung nach lohnt es sich, die großen Potenziale von Social Media für den gesellschaftlichen Austausch zu retten – wohin auch immer. Dass ein Politiker wie Wolfgang Schmidt eher erleichtert scheint, wenn man sich mit Instagram und Co. nicht mehr beschäftigen müsste, ist bezeichnend. Kein Politiker wurde mir in den letzten Wochen so häufig als Werbung präsentiert wie er, der hier bei uns im Wahlkreis kandidiert.

Podcasts 

Natürliche Ausrede: Auch in einer Episode des Podcasts „Natürliche Ausrede“ geht es darum, wie wir gesellschaftlich besser diskutieren könnten. Der Journalist Korbinian Frenzel ist darin zu Gast und spricht mit Moderator Christopher Braucks über das Buch, das er zusammen mit der Politologin Julia Reuschenbach geschrieben hat: „Defekte Debatten. Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen.“ Es lohnt sich, dem langen Gespräch der beiden zuzuhören, mir wurde wieder einmal klar, wie bereichernd es ist, sich für so ein Thema in einem Podcast länger Zeit lassen zu können.

Ich habe „Natürliche Ausrede“ erst jetzt per Zufall gefunden, mag das Format. Es gibt ihn schon seit ein paar Jahren und ich habe noch einige Folgen entdeckt, die mich schon von der Besetzung interessieren.

Auch in „Die so genannte Gegenwart“ geht es (in der Dezember-Folge) um das Streiten, aufgehängt an zwei Büchern: das von Julia Reuschenbach und Korbinian Frenzel, siehe oben (heißt es in der Ankündigung, es wird dann aber leider eher nur erwähnt) und um den Titel von der Philosophin Svenja Flaßpöhler. Sie verarbeitet in „Streiten“ unter anderem ihre Erfahrungen mit den Auseinandersetzungen über die Impflicht. Gut ist, dass die beiden Hosts (Lars Weisbrod, Iljoma Mangold) das Thema Streiten hier noch einmal sehr grundsätzlich befragen und auch die (eigenen) Motivationen der Auseinandersetzung nachzugehen versuchen.

Und in eigener Sache:

„Hamburg, was willst du wissen?“: Im Podcast der Hamburg Open Online University (HOOU) habe ich mit der Autorin, Aktivistin und Trainerin Aileen Puhlmann über ihre eigene Lernbiografie gesprochen. Aileen leitet den Verein „Lemonaid“ und ist ehrenamtliche Stiftungsrätin der Filia Stiftung. „Das Neue umarmen“ ist so etwas wie ihr Motto, und das hat sie bis nach Südafrika geführt, wo sie für die GIZ in der lokalen Wirtschaftsförderung gearbeitet hat. Von den drei Lernangeboten, die sie für sich aus der HOOU ausgewählt hat, erklärt eines, wie Geld funktioniert. Wir haben über ihr vielfältiges Engagement gesprochen, über den Umgang mit dem Unbekannten und über Finanzielle Bildung und wie wichtig die ist, denn wie Aileen sagt: „Die Welt verstehen bedeutet auch, Geldflüsse zu verstehen und zu hinterfragen“.

Fernsehfilm: Ein Mann seiner Klasse

Das Buch von Christian Baron hat mich vor einigen Jahren sehr berührt, weil es die Zerstörung einer Familie durch Alkoholsucht und Armut als Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen beschreibt. Gleichzeitig macht die autobiografische Geschichte deutlich, welche Resilienz Kinder entwickeln können, wenn es nur einen Menschen in so einer Umgebung gibt, der ihnen hilft und der an sie glaubt. Christian Baron hatte mit seinen Tanten gleich zwei solcher Menschen.

Die Verfilmung zeigt die ganze Komplexität der Zerstörung, macht keine einzelnen Täter aus und zeigt vor allem die Zerrissenheit eines Kindes, das seinen Vater zugleich verachtet und liebt. Zu dem Film ist auch eine Dokumentation mit dem Autor erschienen, beides in der ARD Mediathek.

Neues Album: Wallners

Mehr als ein Jahr habe ich die Band Wallners auf Instagram begleiten können, wie sie an dieser wunderbaren Platte gearbeitet haben. Die Bilder zeugten von einer Versunkenheit in die Musik, eine Ruhe, die ich selten so gesehen habe und die mich fasziniert hat. Einzelne Titel waren schon herausgekommen, jetzt ist das ganze Album zu hören – es ist großartig, wie ich finde.